Kultur

Definition und Diskussion des Kulturbegriffs im Kontext der Jugendarbeit in Bayern

Definition

Kultur bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur. Dabei ist Kultur in erster Linie ein Gewebe an Bedeutungen, Weltanschauungen, Symbolen und Sinnstiftungen, die die Welt für die Menschen erklärbar macht und strukturiert. Kultur ist demnach ein Werkzeug der Menschen, um alles in der Welt – inklusive der Menschen selbst – durch verschiedene Symbole, Codes und Kategorien verständlich zu machen. Das kann z. B. innerhalb einer Jugendclique eine vereinbarte Abfolge an „Abklatschen“ zur Begrüßung sein, ein Glaubenssystem mit bestimmten liturgischen Ritualen oder ein Kleidungsstil. Wenn Menschen dasselbe Set an Symbolen, Bedeutungen und

Codes benutzen, bilden sie eine Kultur. Über Symbole und Codes hinaus zählt auch der Herrschaftsstatus oder –anspruch bestimmter gesellschaftlicher Schichten zur Kultur. Basierend auf diesem Kulturverständnis gehört ein Individuum stets mehreren Kulturen an. Diese können über Sprache, Religion, Wertvorstellungen, Gebrauche oder aber auch über Peer-Gruppen definiert werden. Die Zugehörigkeit zu Kulturen ist für die soziale Identität eines Menschen von großer Bedeutung, da sie Orientierung und sozialen Anschluss ermöglicht. Hiermit geht zugleich eine Abgrenzung von anderen Gruppen und Kulturen einher. Dadurch, dass das symbolische Verständnis von Kulturen über die Zeit stets neu verhandelt wird, verändert sich auch auf diese Weise jede Kultur, so dass Kulturen dynamisch und nicht statisch sind.

Allgemeines Verständnis/Kritik

In der Gesellschaft und auch in der Jugendarbeit wird Kultur aber häufig als essentialistisch und unveränderbar aufgefasst und gerade nicht als dynamisch und prozesshaft. Im Verständnis eines essentialistischen Kulturbegriffs werden Kulturen als in sich abgeschlossene  Ganzes („Kulturkreise“) gesehen und mit vermeintlichen Abstammungsgemeinschaften („Völkern“, „Ethnien“, „Rasse“) gleichgesetzt. Um also zu verhindern, dass der Begriff „Kultur“ an Stelle des Begriffs „Rasse“ tritt, ist es auch für die Jugendarbeit wichtig, zu einem nichtessentialistischen Kulturbegriff überzugehen. Wichtig ist, „Kultur“ nicht mit einer imaginierten „Nationalkultur“ gleichzusetzen. „Kultur“ ist deutlich mehr als das Singen von Volksliedern oder das Tragen einer Tracht. Kultur ist vielmehr als „soziale Praktik“ zu verstehen, denn Kultur wird von Menschen erzeugt, bewahrt und verändert. Daher kann auch von „Doing Culture“ gesprochen werden, um so den Anteil des einzelnen Menschen an der Herstellung und Darstellung von Kultur zu betonen. Dabei muss beachtet werden, dass die Bedeutung kultureller Zugehörigkeiten weder überbetont noch gänzlich relativiert wird.

Überbetonung bedeutet, dass alle Verhaltensweisen eines Individuums, insbesondere negativ stigmatisierte, auf die kulturelle Zugehörigkeit reduziert und die Sozialisierung sowie individuelle Aspekte und Handlungslogiken ausgeblendet werden. Als Beispiel kann die „deutsche“ Pünktlichkeit oder „südländische“ Unpünktlichkeit“ angeführt werden, in der individuelle Verhaltensweisen mit kultureller Herkunft erklärt werden. Das andere Extrem der Relativierung verneint die Bedeutung von kulturellen Prägungen gänzlich und beschränkt Verhaltensweisen nur auf Sozialisierung und individuelle Aspekte. Es gibt natürlich Gruppen, die bestimmte Merkmale teilen wie z. B. die Muttersprache oder eine gemeinsame Schulbildung, in der beispielsweise auch ein ähnliches Geschichtsbild tradiert wird. Ebenso gibt es Gruppen, die über gemeinsame Traditionen verfügen oder die eine gemeinsame Diskriminierungserfahrung eint.

In der Jugendarbeit gilt es, beide Fallstricke zu meiden: Kultur weder für alles als Erklärungsmodell heranzuziehen, noch die Bedeutung kultureller Prägungen komplett zu relativieren.

 

Empfehlungen für die Jugendarbeit

Wenn in der Jugendarbeit der so beschriebene Kulturbegriff verwendet wird, heißt das auch, dass das Umgehen und Arbeiten mit Kulturen immer ein grundlegender Bestandteil von Jugendarbeit ist und nicht erst relevant wird, wenn bspw. eine internationale Begegnung ansteht. Jugendarbeit ist dann auch immer ein Stück weit interkulturelle/ transkulturelle Arbeit. Interkulturalität wird dabei meist bezogen auf Prozesse des Austauschs zwischen Mitgliedern von mindestens zwei, deutlich voneinander unterscheidbaren, Kulturen. Dies impliziert eindeutige Grenzen, Differenzen und Ungleichheiten zwischen den Kulturen. Dies entspricht aber nicht den Realitäten unserer Gesellschaft und ist für Jugendarbeit auch nicht hilfreich. Die neuere Kulturwissenschaft verwendet deshalb den Begriff der „Transkulturalität“ (Welsch 2009), der von fluiden Grenzen zwischen den Kulturen ausgeht und den kulturellen Austausch als Wesensmerkmal jeder Kultur begreift. Dies trägt dem grundsätzlich dynamischen und nicht statischen Kulturbegriff Rechnung. Der Kulturbegriff birgt aufgrund veralteter Auffassungen diverse Gefahren. Um diese zu vermeiden, sollte Kultur

  • Nicht als essentialistische und unveränderliche Konstante gesehen werden,
  • Nicht mit „Nationalkulturen“ gleichgesetzt werden und
  • weder kulturalisierend für alles als Erklärung noch relativistisch als bedeutungslos verstanden werden.

 

Stattdessen sollte Kultur

  • als ein dynamisches, veränderbares, sinn- und orientierungsstiftendes Konzept und soziale Praxis verwendet werden.
  • Zudem muss berücksichtigt werden, dass jeder Mensch mehreren Kulturen angehört, die sich

gegenseitig befruchten, aber auch widersprechen können und

  • dass Kulturen im Sinne der Transkulturalität in einem ständigen Austausch sind.

 

Internationales

Die Begrifflichkeiten, verschiedenen Kulturverständnisse und die Frage der Interkulturalität werden auch in anderen Sprachen verwendet, und die Diskussionen hierum sind in anderen europäischen Ländern ebenso Thema. Sie können also auch im internationalen Kontext aufkommen. Gerade bei internationalen Jugendbegegnungen verfällt man oft dem Reiz, in „Nationalkulturen“ zu denken und dies durch vermeintlich „interkulturelle“ Übungen und „Länderabende“ zu verstärken.

 

Literatur

Auernheimer, Georg _ Einführung in die interkulturelle

Pädagogik. 6. Aufl. Darmstadt 2010.

Bhabha, Homi K. _ Die Verortung der Kultur.

Tübingen 2007.

 

 

 

Geertz, Clifford _ Dichte Beschreibungen.

Frankfurt a.M. 2001.

Welsch, Wolfgang _ Was ist eigentlich Transkulturalität?,

in: Darowska, Lucyna/Machold, Claudia (Hg.):

Hochschule als transkultureller Raum? Beitrage zu

Kultur, Bildung und Differenz. Bielefeld 2009, S. 39–66.

Ansprechperson

Hélène Düll
Referentin für Integration und interkulturelle Jugendarbeit