Drei juna-Zeitschriften liegen auf einem Stapel - Auf dem Cover ist eine lachende junge Frau mit Rucksack, die auf einem Bahnsteig steht.

juna #1.25 Internationale Jugendarbeit

Internationale Jugendbegegnungen sind für die Beteiligten oft herausragende Erlebnisse, bei vielen prägen sie die ganze Biografie.

„Weißt du noch, damals …?“
Freudestrahlend berichtet der Mann von einer gemeinsamen Nachtaktion und einem Spiel, das er zusammen mit den Austauschpartnern gespielt hat. Die Begeisterung ist spürbar, die Erinnerung warm und lebendig – dabei liegt die Jugendbegegnung schon 20 Jahre zurück. Viele Menschen, die in der Internationalen Jugendarbeit tätig sind, haben das oft erlebt: Solche Momente hinterlassen bei jungen Leuten so ausgeprägte Spuren, dass sie ihnen noch Jahre später präsent sind.

Wissenschaftler:innen nennen sie „einschneidend“ und „biografieverändernd“. Obwohl diese besonderen Erfahrungen das gesamte Leben verändern können, hält sich die Forschung dazu in Grenzen. Die Studie „Langzeitwirkungen internationaler Jugendarbeit“ von 2006¹ bestätigt allerdings: Teilnehmer:innen berichten noch zehn  Jahre später von nachhaltigen Wirkungen auf ihre Per- sönlichkeit und weitere Biografie. Das komplexe Wort „Persönlichkeitsentwicklung“ bezieht sich hier vor allem auf die Selbstsicherheit, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Offenheit für neuartige Erfahrungen sowie soziale und interkulturelle Kompetenzen.

71 Prozent der befragten Teilnehmer:innen bezeichneten die Erfahrung einer internationalen Jugendbegegnung als sehr wichtig oder wichtig, 75 Prozent lehnten die Aussage, dass die Begegnung keine Spuren in ihrer Biographie hinterlassen habe, ab. Und heute, im digitalen Zeitalter, ist das reale Begegnen, persönlich und mit allen Sinnen, vielleicht sogar noch wichtiger geworden, da man die Welt im Kopf dabei mit der realen Welt abgleichen kann. Doch nicht nur für die Teilnehmenden sind die Jugendbegegnungen wertvoll. Die Leiter:innen nehmen ebenfalls viel mit. Schließlich organisieren sie die Jugendbegegnungen in einem internationalen Team und wachsen dabei oft über sich selbst hinaus.

DIE VERTEILUNG IST UNGERECHT
In der Studie aus dem Jahr 2006 stand eine bedeutsame Forderung: „Neben Gymnasiast:innen und Student:innen müssen Schüler:innen anderer Schulformen, Auszubildende und junge Berufstätige noch stärker an internationalen Jugendbegegnungen beteiligt werden.“ Dies wird in neueren Studien genauer unter die Lupe genommen. Wo in der Internationalen Jugendarbeit sind sie, die Nicht-Gymnasiast:innen?

Die Antwort darauf gab die sogenannte Zugangsstudie, die im Jahr 2019 erschien.² Während der internationale Jugendaustausch durch Corona komplett zum Erliegen kam, löste die Zugangsstudie Bewegung aus. Endlich stand es schwarz auf weiß da: 63 Prozent der Jugendlichen sind an internationalen Maßnahmen interessiert, das zieht sich quer durch alle Milieus und Zielgruppen. Aber nur 26 Prozent der jungen Menschen haben die Möglichkeit teilzunehmen. Es gibt also eine Zielgruppe, die sich nicht aussuchen kann, ob sie zu Jugendbegegnungen mitfährt, einen individuellen Schulaustausch macht, später ein Auslandspraktikum, Auslandssemester oder lieber eine Weltreise auf eigene Faust.

BENACHTEILIGTE JUGENDLICHE PROFITIEREN BESONDERS
Ein Großteil der jungen Menschen kann diese internationale Erfahrung nicht ein einziges Mal erleben. Grund dafür sind strukturelle und individuelle Hürden wie Beeinträchtigungen oder finanzielle Probleme – diese müssen auch strukturell und individuell angegangen werden. Oft hört man: „Wir haben doch offen ausgeschrieben, es hätte sich ja jeder anmelden können.“ Oder: „Wer es sich nicht leisten kann, soll sich einfach melden, dann finden wir eine Lösung.“ Oder: „Wir können mehr Förderung ausschütten, wenn es individuelle Bedarfe gibt – aber nein, auf der Homepage steht das nicht.“ Das sind gut gemeinte, aber keine wirksamen Antworten, wie die Statistiken und Erfahrungen der letzten 70 Jahre zeigen.

Und oft werden, eher im Stillen, solche Fragen gestellt: „Wozu soll ein junger Mensch mit Behinderung auch noch ins Ausland?“, „Schaffen das Mittelschü-ler:innen überhaupt?“ oder „Wer will hier die Verantwortung übernehmen?“. Das sind traurige Beispiele erlernter „Geisterhypothesen“, die nicht weiterhelfen. Genauso wie der sogenannte Matthew-Effekt, demzufolge die privilegierten Teilnehmenden am meisten von internationalen Maßnahmen profitieren, die weniger Privilegierten weniger. Genau das Gegenteil ist der Fall: Die internationale RAY-Studie (laufend seit 2009) stellt nicht nur klare Wirkungen von Jugendbegegnungen heraus, sondern betont die besondere Wirkung gerade für benachteiligte Jugendliche.³

Diese gewinnen dadurch signifikant an Selbstvertrauen. Stark steigen auch die Motivation, Fremdsprachen zu lernen, und die Bereitschaft, sich gegen Exklusion zu engagieren, gegen Diskriminierung und Rassismus zu kämpfen, sich politisch mehr einzubringen und zu partizipieren. Jahrzehntelang profitierten in der Internationalen Jugendarbeit vor allem die Gutsituierten von Fördergeldern, nicht diejenigen, bei denen die Wirkung größer und die Förderung wichtiger wäre. Das ist nicht nur auf menschlicher Ebene ein Problem, sondern geht auch gesellschaftspolitisch vollkommen am Ziel vorbei.

ERSTAUNLICHE PROJEKTE SIND ENTSTANDEN
Angesichts der Herausforderungen in Deutschland und der Welt muss es das Ziel sein, aus mobilitätsfernen Jugendlichen mobile Jugendliche zu machen. Mit Mitteln der Stiftung Jugendaustausch Bayern hat der BJR das in Angriff genommen. Und ein Ergebnis der Erfahrungen in den letzten Jahren ist spannend: Die cross-sektorale Zusammenarbeit, also die Kooperation von Schule und Jugendarbeit, trägt in diesem Bereich des internationalen Austauschs für mobilitätsferne Jugendliche erstaunliche Früchte. So sind mit Förderung des BJR großartige Projekte entstanden.

Der Kreisjugendring Augsburg organisierte mit der Mittelschule Schwabmünchen ein Austauschprojekt mit Kenia. Die JuBi Babenhausen und die Robert-Schuman-Mittelschule – eine Integrationsschule – ermöglichten gemeinsam Schüler:innen mit Beeinträchtigung eine Jugendbegegnung in Italien. Das private Förderzentrum körperliche und motorische Entwicklung Altdorf und Mühlenkraft e.V. organisierten ein Austauschprojekt mit Wales, der Verein Kunstprojekte Oberland e.V. und eine Schul-AG der Karwendel Mittelschule Mittenwald einen Austausch mit Norwegen. Und der Verein The Rising Lions e.V. brachte gemeinsam mit der Berufsschule Miltenberg-Obernburg und der Außenhandelskammer Ghana junge Schreiner:innen und Holzmechaniker:innen aus Deutschland und Ghana zusammen. Das sind nur einige Beispiele unter vielen.

„Internationale Begegnungssituationen sind komplexe Lebensereignisse (…) und müssen sich an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen orientieren“, heißt es in der Langzeitstudie von 2006¹. Das schafft die Jugendarbeit, das ist eine ihrer großen Stärken. Jugendarbeit entwickelt sich ständig weiter, entsprechend der Bedarfe und Situationen der jungen Menschen. Ihr ist zu eigen, was für die internationale Arbeit besonders nötig ist: Offenheit für Neues, Wertschätzung für das Unbekannte und die Freude, wenn Fremdes zu Vertrautem wird. Die Jugendarbeit muss sich in Zukunft weiter und noch mehr um die weniger mobilen Zielgruppen bemühen. Das stärkt die jungen Menschen, das stärkt die Demokratie, das stärkt die Fachkräfte. Und es schafft unvergessliche Erinnerungen für das ganze Leben! •

¹ Thomas, A.; Chang, C.; Abt, H.: Erlebnisse, die verändern – Langzeitwirkungen der Teilnahme an internationalen Jugendbegegnungen. Göttingen 2006
² Forschung und Praxis im Dialog (FPD, Hg.): Warum nicht? Studie zum Internationalen Jugendaustausch: Zugänge und Barrieren. Frankfurt 2019. Online abrufbar unter: zugangsstudie.de (zuletzt aufgerufen am 10.1.2025)
³ JUGEND für Europa. Nationale Agentur Erasmus+ Jugend, Erasmus+ Sport und Europäisches Solidaritätskorps (Hg.): RAY – Research-based Analysis and Monitoring of European Youth Programmes. Online abrufbar unter jugendfuereuropa.de/ueber-jfe/projekte/ray (zuletzt aufgerufen am 10.1.2025)

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