Zwei Ausgaben der juna 4.2024 liegen auferinander gestapelt vor grauem Hintergrund

juna #4.24 Liebe

Liebe und Verbundenheit sind zentral für ein zufriedenes Leben. Darüber schreibt die Autorin Ronja von Wurmb-Seibel in ihrem neuen Buch „Zusammen".

Die Autorin und Journalistin Ronja v. Wurmb-Seibel steht vor einem hell erleuchteten Schaufenster

Frau von Wurmb-Seibel, wieso sind Liebe, Beziehung, Freundschaft und Verbundenheit so wichtig für uns Menschen?
Wir Menschen brauchen andere Menschen. Das beginnt vor der Geburt und endet mit dem Tod. Wenn wir Menschen um uns haben, mit denen wir uns wohlfühlen, schüttet unser Körper Hormone aus, die Stress reduzieren.

Vermutlich lässt sich das evolutionsbiologisch erklären, oder?
Seit es uns Menschen gibt, sichert das Prinzip von Gemeinschaft und Zusammenhalt wortwörtlich unser Überleben. Wenn wir mit anderen kooperieren, können wir uns besser vor Gefahren schützen als allein. Das ist auch heute noch so.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Liebe und Beziehung auf der einen Seite und Gesundheit und Lebenserwartung auf der anderen?
Eine mehr als 80 Jahre andauernde Studie der Harvard-Universität hat ergeben, dass die Qualität guter Beziehungen wie nichts anderes unsere Gesundheit stärkt und unsere Lebenserwartung verlängert. Die Gründe sind vielfältig: Wir sind nicht nur glücklicher und zufriedener, wir bekommen auch schneller und besser Unterstützung, wenn wir in Krisen geraten.

Welche Rolle spielen Berührungen für unser Wohlbefinden?
Berührungen, mit denen wir einverstanden sind und die wir uns wünschen, tragen dazu bei, Stress zu reduzieren. Sie machen uns glücklich und können sogar bei Schmerzen helfen. Die Hand halten, umarmen, an eine Schulter anlehnen: Oft machen wir dies intuitiv, wenn es uns schlecht geht. Ich finde es sehr tröstlich zu wissen, wie viel wir einander geben können mit diesen Dingen.

In Ihrem neuen Buch „Zusammen“ schreiben Sie, dass Neugier ein entscheidender Faktor für Liebe und eine gelingende Beziehung darstellt. Inwiefern ist das so?
Um einander wirklich kennenzulernen, ist es wichtig, dass wir uns immer neu für unser Gegenüber interessieren – dafür brauchen wir Neugier. Das gilt besonders in lang anhaltenden Beziehungen. Wir meinen, unser Gegenüber schon so gut zu kennen, dass wir bei vielen Dingen nicht mehr nachfragen. Aber wir alle ändern uns, mehr oder weniger, ständig. Neugierig zu bleiben heißt also, das Interesse am anderen nicht zu verlieren.

Wie schafft man das?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich bin großer Fan von sogenannten Zwiegesprächen: Zwei Personen reden im Wechsel zehn oder 15 Minuten lang darüber, was sie gerade beschäftigt, wie sie sich fühlen, was sie sich wünschen. Die andere Person hört jeweils nur zu. Mein Partner und ich machen das jede Woche. Wir sind seit zwölf Jahren zusammen und immer noch erfahre ich jedes Mal etwas über ihn, was ich noch nicht wusste.

Wie können sich Handy und soziale Medien auf die Liebe und die Zufriedenheit in Beziehungen auswirken?
Aus der Forschung wissen wir, dass die bloße Anwesenheit eines Handys die empfundene Qualität eines Gesprächs oder Treffens spürbar verschlechtert. Sogar dann, wenn wir das Handy gar nicht benutzen und es zum Beispiel nur auf dem Tisch liegt und kein Geräusch von sich gibt. Der beste Tipp ist also: Handy weg in Situationen, die wir bewusst mit anderen verbringen wollen.

Apropos Handy: Die Menschen sind im Online-Zeitalter verbundener als je zuvor. Trotzdem fühlen sich immer mehr Menschen einsam. Wieso?
Soziale Medien erleichtern es uns, Kontakte zu knüpfen und auch über größere Entfernungen zu halten. Sie sind aber – da ist sich die Forschung überraschend einig –nicht dafür geeignet, echte Verbundenheit zu schaffen. Der Grund: Es mangelt an Sinneserfahrung. Wir können uns nur sehen und hören. Für echte Verbundenheit brauchen wir aber alle Sinne: berühren, riechen, vielleicht zusammen essen. Das heißt nicht, dass Online-Kontakte per se schlecht sind. Aber wann immer es geht, sollten wir sie durch Treffen vor Ort ergänzen.

Wie steht es um die Einsamkeit junger Menschen?
Eine bundesweite Studie¹ mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus dem Jahr 2023 zeigte, dass es mehr als 50 Prozent von ihnen manchmal oder immer an Gesellschaft mangelt. Etwa jede vierte Person hat nicht das Gefühl, anderen Menschen nahe zu sein. Gerade in der Umbruchphase zwischen Schulende und Berufseinstieg haben viele jungen Menschen weniger sozialen Rückhalt, als sie sich wünschen.

Besteht bei Jugendlichen ein Zusammenhang zwischen Einsamkeit und politischen Einstellungen?
Aus zahlreichen Studien wissen wir inzwischen, dass Menschen, die sich einsam fühlen, empfänglicher für Propaganda rechtsextremer Gruppen sind. Viele Gruppierungen nutzen diesen Effekt, indem sie zum Beispiel ihre Anhänger:innen als Familie ansprechen und Werte wie Zusammenhalt preisen. Gleichzeitig werden Menschen, die sich radikalisieren, häufig isoliert: Bisherige Kontakte brechen weg, Menschen wenden sich ab – was die Betroffenen noch mehr in Richtung der extremen Gruppierungen treibt. Das gilt nicht nur, aber auch für Jugendliche.

Werden aus einsamen Jugendlichen einsame Erwachsene?
Das kann passieren, muss aber nicht so sein. Unser Einsamkeitsempfinden kann sich im Lauf eines Lebens stark verändern. Statistisch ist das Risiko in jungen Jahren und im hohen Alter hoch. Wichtig zu verstehen: Einsamkeit ist erstmal ein ganz normales Gefühl, das wir alle empfinden. Es stellt ein Signal dar, das uns zeigt, dass wir weniger soziale Kontakte haben, als wir uns wünschen. So wie Hunger uns darauf hinweist, dass wir weniger Nahrung zu uns genommen haben, als wir brauchen. Wir können also handeln, wenn wir Einsamkeit verspüren. Bedrohlich wird das Gefühl erst, wenn es sich verfestigt und irgendwann unseren Alltag bestimmt oder uns lähmt.

¹ Das Progressive Zentrum mit Prof. Dr. Neu, C., Prof. Dr. Küpper, B., Prof. Dr. Luhmann, M.: Extrem einsam? Die demokratische Relevanz von Einsamkeitserfahrungen unter Jugendlichen in Deutschland (2023), S.4. https://progressives-zentrum.org/wp-content/uploads/2023/02/Kollekt_Studie_Extrem_Einsam_Das-ProgressiveZentrum.pdf (Aufruf vom 15. November 2024)

Ansprechperson

Karin Fleissner
Pressesprecherin