Jugendpolitische Grundsatzrede von BJR-Präsident Philipp Seitz, gehalten vor den Delegierten der 165. Vollversammlung am Abend des 18. Oktober 2024 in Nürnberg
Liebe Delegierte,
liebe Unterstützer:innen der Jugendarbeit,
sehr geehrte Vollversammlungsvorsitzende,
wir erleben gerade stürmische Zeiten.
Erinnert Euch, vor eineinhalb Jahren, als ich gewählt wurde, habe ich Euch vom Segeln erzählt. Dabei gibt es verschiedene Dinge zu beachten: Das Segel richtig setzen. Den Wind im Blick haben. Und vieles mehr.
Am Ende bestimmt nicht der Wind, sondern das Segel die Richtung.
Es ist heute meine zweite Grundsatzrede als Präsident des Bayerischen Jugendrings. Die stürmischen Zeiten, die ich in meiner Wahlrede angesprochen habe, erleben wir momentan.
Für mich ist klar: Die Arbeitsfähigkeit der Jugendarbeit, insbesondere der Jugendverbände, muss gesichert sein, und sie muss ausgebaut werden. Das ist nicht verhandelbar.
Für eine starke Jugendarbeit braucht es Leidenschaft, Räume, Ziele – und auch Geld. Finanzielle Ressourcen sind lebenswichtig.
Wenn das Geld fehlt, ist die Existenz bedroht.
Wir können nur gute inhaltliche Arbeit machen, wenn wir unsere Energie, Motivation und Ressourcen nicht permanent für die Mittelausstattung einsetzen müssen.
Wir setzen uns als Bayerischer Jugendring dafür ein, dass Ihr Eure Arbeit gut machen könnt, dass genügend Geld vorhanden ist.
Aber bevor ich auf dieses Thema eingehe, schauen wir doch mal auf das vergangene Jahr zurück.
Sind Euch junge Menschen egal?
Diese Frage habe ich vor einem Jahr, genau hier, bei unserer Vollversammlung in Nürnberg, Euch gestellt.
Und dieselbe Frage habe ich auch Politiker:innen gestellt. In Bayern, in Berlin und in Brüssel.
In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich viele Gespräche für die Jugendarbeit geführt.
Mit dem Ministerpräsidenten Markus Söder,
mit der Jugendministerin Ulrike Scharf,
mit dem Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann,
mit dem Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger,
mit der Kultusministerin Anna Stolz,
mit dem Finanzminister Albert Füracker,
mit dem Haushaltsausschussvorsitzenden Josef Zellmeier,
mit der Sozialausschuss-Vorsitzenden Doris Rauscher,
mit den jugendpolitischen Sprecher:innen Julia Post, Anna Rasehorn, Josef Heisl und Julian Preidl.
Und noch mit vielen anderen.
Sind Euch junge Menschen egal?
Die Antwort war sehr klar: Nein. Junge Menschen sind uns nicht egal.
Und ich bekomme dabei eine hohe Wertschätzung rückgemeldet; für das, was wir alle täglich leisten – im Haupt- und im Ehrenamt. Und selbst bei Themen, bei denen wir einen Dissens haben, da streiten wir natürlich, sind aber immer in einem konstruktiven Dialog.
Ich habe mit fast dem gesamten Kabinett gesprochen – und mit allen demokratischen Fraktionen im Landtag.
Was bringen eigentlich solche Gespräche mit Politiker:innen? Müssten wir nicht „lauter“ sein und „trommeln“?
Das werde ich manchmal gefragt.
Ich möchte Euch ein gutes Beispiel nennen: Im Austausch mit Ministerpräsident Markus Söder ist die Idee eines Jugendempfangs gereift. Und diese Idee wurde jetzt gemeinsam erfolgreich umgesetzt.
Vor zwei Wochen lud der Bayerische Ministerpräsident mit dem Bayerischen Jugendring zu einem großen Jugendempfang ein. Über 450 junge Ehrenamtliche aus ganz Bayern folgten der Einladung.
Jugendverbände präsentierten sich in der Residenz in München. Wir haben gezeigt, wie vielfältig und stark wir sind. In der Jugendarbeit sind junge Menschen immer richtig.
Mit diesem Empfang sollte „Danke“ gesagt werden, zugehört und darüber gesprochen werden, was die Jugend in Bayern will und braucht.
Schon vor der Sommerpause wurde gesagt: Wir müssen junge Menschen ernst nehmen, nicht belehren. Die Politik müsse sich der Lebensrealitäten junger Menschen annehmen.
Dieses Bekenntnis zur Jugend, in den Schlussworten vor der Sommerpause des Landtags, war ein gutes, ein richtiges und wichtiges Signal.
Viele Gespräche sind das eine. Am Ende zählen die Ergebnisse. Und ich glaube, diese können sich durchaus sehen lassen.
Wir haben politische Unterstützung und Gelder erhalten.
Insgesamt haben wir in diesem Jahr 5 Millionen Euro zusätzlich zum regulären Haushaltsansatz 2024 erhalten. Und das trotz der schwierigen Wirtschaftslage. Das ist in der aktuellen Situation keine Selbstverständlichkeit.
Der Bayerische Landtag hatte zusätzlich 1,6 Millionen Euro für die Jugendarbeit beschlossen, womit wir die Ausbildung ehrenamtlicher Jugendleiter:innen und Jugendbildungsmaßnahmen weiter stärken konnten. Die Förderung der Jugendverbandsarbeit hat für mich und den Bayerischen Jugendring oberste Priorität.
Ich habe im Oktober, nach den U18-Wahlen, weitere Investitionen in die Jugendarbeit und damit in unsere Demokratie gefordert. Denn: Wer in die Jugendarbeit investiert, der stärkt die Demokratie. Die Jugendministerin hat sich erfolgreich für ein Demokratie-Budget eingesetzt. Wir haben 2,5 Millionen Euro für Demokratie-Projekte erhalten. Die Aktionen laufen gerade.
Wir konnten ebenso die Fach- und Servicestelle für Kinder- und Jugendbeteiligung sowie Digital Streetwork verstetigen.
Ich schaue aber nicht nur auf Bayern. Auch auf Bundesebene werden wichtige Weichen für den Bayerischen Jugendring gestellt. Das wird oft übersehen.
Momentan kämpfen wir darum, die Antidiskriminierungsberatung abzusichern. Sie wird aus Bundesmitteln finanziert. Unsere Vollversammlung hat diese Anlaufstelle mehrfach gefordert. Letztes Jahr konnten wir sie endlich umsetzen.
Doch die Haushaltssituation auf Bundesebene ist schwierig. Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass sich etwas bewegt. Wir wollen weiterhin Dinge anstoßen.
Vor mir auf meinem Rednerpult steht ein Pendel. Ein Kugelstoßpendel.
Was braucht es, damit es sich bewegt?
Energie. Einen Stoß. Einen Anschub.
Doch der Eisenball muss in die richtige Richtung schwingen.
Dafür braucht es eine klare Strategie.
Wir wollen gemeinsam vorankommen – nicht gegeneinander.
Lasse ich die Kugeln an den Rändern gleichzeitig los, hebt sich deren Energie auf. Man kann sagen: Die Energie verpufft. Das wäre Energieverschwendung.
Wir wollen Vielfalt. Verschiedene Verbände, unterschiedliche Arbeitsfelder, verschiedene Meinungen, unterschiedliche Wege zum Ziel. Aber beim Wesentlichen wäre es gut, wenn wir uns einig sind.
In der Jugendarbeit verfolgen wir die gleiche Richtung: die besten Rahmenbedingungen schaffen. Damit junge Menschen Gemeinschaft erleben. Damit sie geschützte Räume haben. Damit sie sich einbringen und wachsen können, um tragende Säulen unserer Gesellschaft zu werden.
Die aktuelle Situation ist für uns alle kein Zuckerschlecken.
Wir alle spüren die aktuelle konjunkturelle Lage. Das bereitet uns enorme Herausforderungen. Egal ob im Jugendverband, im Jugendring oder in den Arbeitsfeldern.
Es wird momentan oft über Einsparungen diskutiert.
Der Haushaltsentwurf für 2025 bereitet uns allen Sorge.
Manche fragen sich: Wie geht es weiter?
Wie können wir unsere wichtige Arbeit fortsetzen?
Werden die richtigen Entscheidungen getroffen?
Diese Sorgen nehmen wir ernst – als BJR-Geschäftsleitung und ich persönlich als Präsident.
Ich habe das vergangenen Dienstag bei der Videokonferenz der Jugendverbände noch einmal betont, und ich sage es auch hier noch einmal deutlich: Wir unterstützen Euch. Wir setzen uns dafür ein, zusätzliche Gelder zu erhalten.
Wir sind dran. Wir sind im ständigen Austausch mit der Politik. Ich kann hier auf die 1,6 Millionen Euro in diesem Jahr verweisen. Wir sprechen gerade intensiv über die Bedarfe im kommenden Jahr.
Für mich bleibt die Förderung der Jugendverbände oberste Priorität. Sie sind das Fundament unserer Arbeit.
Unsere Ziele sind dabei klar. Ich möchte vier Punkte hervorheben:
Denn klar ist: Jugendarbeit wirkt. Und Jugendarbeit prägt.
In der Jugendarbeit wird Demokratie erfahrbar. In der Jugendarbeit finden junge Menschen eine Heimat, sie lernen neue Fähigkeiten, haben einen Ort zum Auftanken.
Deshalb gibt es eine klare, vom Landesvorstand vorgegebene Prioritätensetzung: An erster Stelle steht die Basisförderung. Es geht darum, dass unsere Verbände weiterhin gute Arbeit leisten können. Die Ausbildung von ehrenamtlichen Jugendleiter:innen und Jugendbildungsmaßnahmen sind uns wichtig. Wir brauchen weiterhin eine bestmögliche Qualifizierung unserer Ehrenamtlichen, um hochwertige Angebote bieten zu können. Die Fachprogramme benötigen wir, um Jugendarbeit weiterentwickeln zu können.
Junge Menschen haben Sorgen. Sie sind mit multiplen Krisen konfrontiert, und das Vertrauen in politisch verantwortliche Personen ist belastet. Unsere Aufgabe ist es, dass wir Sorge und Vertrauensverlust in Zuversicht verwandeln. Dafür brauchen wir all unsere Strukturen.
Neben und gemeinsam mit den Jugendorganisationen und -ringen haben Streetworker:innen, die kommunalen Jugendpfleger:innen, die Jugendarbeit in Gemeinden, die Jugendbildungsstätten, die mobile Jugendarbeit, die Aktivspielplätze und unsere Partner:innen im Netzwerk der gesamten Jugendhilfe hier eine sehr wichtige Aufgabe. Wir ziehen an einem Strang im Interesse der jungen Menschen. Das müssen wir stärken. Gerade in Krisenzeiten.
Und das machen wir bei all unseren Gesprächen immer wieder deutlich. Bei unseren Aktionen, beim Tag der Jugend in Brüssel, beim Jugendempfang des Ministerpräsidenten, bei Fachtagen, in Gesprächen mit der Politik, um nur einige Beispiele zu nennen.
Ich setze auf Dialog, Kooperation und Vernetzung. Das Ziel ist keine kurzfristige Lösung, sondern es geht um nachhaltige Strukturen, welche die Leistungsfähigkeit der Jugendarbeit langfristig sichern.
Es ist alarmierend, dass viele Jugendverbände und Jugendringe einen Großteil ihrer Ressourcen in die Mittelakquise stecken müssen, anstatt sich auf ihre Inhalte konzentrieren zu können. Und an dieser Stelle sage ich eines ganz deutlich: Das muss sich ändern!
Wir brauchen weiterhin eine Ausstattung, die Jugendarbeit verlässlich und nachhaltig möglich macht – gerade jetzt.
Das alles wird nicht einfach. Aber wir bekommen das hin.
Es gibt immer Krisen. Aber es gab auch immer Menschen, die das Beste daraus gemacht haben. Lasst uns diese Herausforderungen gemeinsam angehen und mit einer klaren, deutlichen Stimme kommunizieren.
Wir bewegen etwas.
Was passiert, wenn ich eine Kugel loslasse? Sie sorgt für Bewegung.
Der Bayerische Jugendring ist eine Arbeitsgemeinschaft. Im Wort Arbeitsgemeinschaft steckt Gemeinschaft, aber auch Arbeit.
Alle sind gefragt - und müssen sich aktuell einbringen.
Wir alle haben es in der Hand, für Bewegung zu sorgen.
Indem wir Mandatsträger:innen einladen und zeigen, was wir vor Ort leisten. Indem wir dabei klar kommunizieren, welchen Mehrwert die Jugendarbeit schafft.
In einer unberechenbaren Welt bieten wir jungen Menschalt Halt und Orientierung. Wir stehen für Werte. Für Gemeinschaft. Das müssen wir vermitteln.
Diesen Weg gehen wir gemeinsam. Und weil mir das wichtig ist, betone ich das auch immer wieder. Wir als Bayerischer Jugendring unterstützen Euch gerne mit dem, was ihr braucht.
Wir haben es in der Hand, jetzt Bewegung zu schaffen.
Das muss abgestimmt sein – eine Kugel setzt die andere in Bewegung.
Und ich bin überzeugt: Wir haben Gewicht.
Genauso wie die Kugel aus Metall: Eine Kugel setzt durch ihr Gewicht die anderen in Bewegung.
Und auch wir, als Jugendarbeit, haben Gewicht. Wir bewirken etwas.
Das wollen wir gezielt einsetzen. Je mehr Menschen mitmachen, desto mehr Bewegung entsteht.
Auch im Bayerischen Jugendring stehen wir vor wichtigen Entscheidungen. Wir sind in Bewegung. Aktuell führen wir ein Personalbemessungsverfahren in der BJR-Geschäftsstelle durch, um unsere Mitarbeitenden zu entlasten. Ein neues Personalkonzept ist in Arbeit, um Schlüsselpositionen zu stärken und unsere Leistungsfähigkeit zu sichern. Wir stärken unsere interne Kommunikation durch ein neues Intranet und testen digitalisierte Förderverfahren, aktuell beim Schüler:innenaustausch. Mit BestFriend haben wir eine neue Gestaltungsagentur gewonnen. Wir setzen auf Employer Branding und präsentieren uns auf Messen, beispielsweise dieser Tage auf der ConSozial in Nürnberg oder auf dem Karrieretag in München. Außerdem gibt es einen neuen Geschäftsführer im Max-Mannheimer-Haus: Thomas Rudner.
In diesem Jahr haben wir viel erreicht. Einige ausgewählte Beispiele: Wir haben die Vergabe des Demokratie-Budgets koordiniert, ein großes GamesFestival mit dem JFF organisiert und das Kinder- und Jugendfilmfestival in Passau. Zur Europawahl organisierten wir eine mehrteilige Veranstaltungsreihe samt Social-Media-Kampagne. Zudem haben wir Europa-Flaggschiff-Projekte ausgebildet. Die Fach- und Servicestelle für Kinder- und Jugendbeteiligung hat ihre Arbeit aufgenommen, und wir haben kürzlich beim Mitarbeiter:innen-Tag deren einjähriges Bestehen gefeiert. Wir hatten die Auftaktveranstaltung im Beteiligungsverfahren zum Aktionsplan Queer und begleiten den Prozess mit dem JFF. Im Max-Mannheimer-Haus stehen Sanierungs- und Brandschutzarbeiten an. Mehr als zwei Millionen Euro fließen und rund 35 Maßnahmen sind geplant. Und wir haben auch für das kommende Jahr viel vor. Die Bundestagswahl steht an. Hier haben wir einiges in Planung.
Wir sind in Bewegung. An dieser Stelle herzlichen Dank an alle Mitarbeitenden des Bayerischen Jugendrings, die sich mit Leidenschaft und Herz für die Jugendarbeit einsetzen. Danke dafür.
Und wir haben auch in der Geschäftsleitung eine Veränderung: Patrick Wolf wird uns leider verlassen, was ich zutiefst bedauere. An dieser Stelle möchte ich nochmals ganz herzlichen Dank an Patrick Wolf sagen. Patrick hat sich viele Jahre lang in der Geschäftsleitung weit über das Maß engagiert. Danke Patrick für Deine Arbeit, Deine Liebe zum Bayerischen Jugendring und für junge Menschen in Bayern.
Was mir wichtig ist: Auch in diesen stürmischen Zeiten, mit diesen vielen Bewegungen, halten wir die Seile fest in der Hand. Im Idealfall nutzen wir den rauen Wind für uns.
Wenn ich mir hier die Vollversammlung anschaue, wenn ich draußen bei Terminen bei euch sehe, was da alles auf die Beine gestellt wird, wenn ich mitbekomme, welche Arbeit von der Ortsebene bis zu den Landesverbänden geleistet wird, dann müssen wir keine Angst vor der Zukunft haben.
Lasst uns gegenseitig in schwierigen Situationen den Rücken stärken und zueinander halten.
Lasst uns den politischen Verantwortlichen, den jungen Menschen, der Gesellschaft zeigen, dass wir wer sind. Dass wir Gewicht haben. Dass wir für Bewegung sorgen.
Danke für Euren Einsatz für junge Menschen!