21.10.2012

Jugendarbeit eigenständig und kooperativ. Zum Verhältnis der Jugendarbeit zur Schule – ein 15-Punkte-Programm

Zum Verhältnis der Jugendarbeit zur Schule – ein 15-Punkte-Programm Jugendarbeit ist ein im außerschulischen Bereich verankertes Freizeit- und Bildungsangebot, wird maßgeblich bestimmt durch die Interessen und Bedürfnisse der beteiligten Kinder und Jugendlichen und weitgehend ehrenamtlich durchgeführt und verantwortet.

Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit, insbesondere in ihren selbstorganisierten, ehrenamtlichen Formen, ist ein zentrales Betätigungs- und Engagementfeld für junge Menschen. Sie bietet das geeignete Umfeld, das für soziales Lernen und Verantwortungslernen von besonderer Bedeutung ist. Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, die Jugendtreffs und Freizeitstätten, stellen ein unverzichtbares Element der sozialen Infrastruktur für junge Menschen dar. Denn junge Menschen haben ein Recht auf eigene, gestalt- und bestimmbare Räume und Orte. Der sog. Offene Betrieb als typische Angebotsform in Jugendtreffs erfüllt in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion, insbesondere als Gelegenheitsstruktur für informelle Lernprozesse.

Allerdings wachsen junge Menschen heute in eine Welt hinein, in der sich tiefgreifende Veränderungen vollziehen. Neue Familienstrukturen, technische und wirtschaftliche Neuerungen, die wachsende Bedeutung europäischer und globaler Perspektiven und moderne Medien stellen hohe Anforderungen an die Lern- und Verarbeitungsleistungen von Kindern und Jugendlichen. Alle Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, schulische wie außerschulische, sind deshalb stärker als bisher gefordert, für Bildung, Erziehung und Betreuung den ihnen möglichen Beitrag für ein gelingendes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen zu leisten.1 Jugendarbeit stellt sich dieser Verantwortung – orientiert an den Interessen und Bedürfnissen der jungen Menschen.

Mit dieser Position hebt der Bayerische Jugendring hervor, dass

  • Jugendarbeit ein wichtiges und eigenständiges Angebot zur außerschulischen Förderung junger Menschen ist und bleiben muss,
  • Jugendarbeit den Bedarf zur Veränderung und Verbesserung ganztägiger Bildung für mehr Kinder und Jugendliche sieht,
  • hier die Potentiale der außerschulischen Jugendarbeit von besonderer Bedeutung sind,
  • Jugendarbeitsangebote in der Lage sind, schulisches Lernen adäquat zu ergänzen und zu erweitern,
  • der internationale Jugend- und Schüleraustausch eine eigene, langjährig bewährte und erfolgreiche Form der Bildungszusammenarbeit von Jugendarbeit und Schule ist,
  • Jugendarbeit mit Aktivitäten schulbezogener Jugendarbeit einen erfolgsversprech- enden Weg beschreitet,
  • Jugendarbeit darüber hinaus auch als Kooperationspartner von Ganztagsschulen oder als Anstellungsträger von sozialpädagogischen Fachkräften einen aktiven und konstruktiven Part übernehmen kann,
  • Jugendarbeit von einer engeren Zusammenarbeit mit Schule profitieren kann,
  • Rahmenbedingungen zur Förderung der Zusammenarbeit noch verbesserungswürdig sind,
  • eine tragfähige Umorientierung der Jugendarbeit zur Schule hin auf partnerschaft- lichem Umgang und gegenseitiger Akzeptanz basieren muss.

Zum Verhältnis der Jugendarbeit zur Schule – ein 15-Punkte-Programm

1. Schulbezogene Jugendarbeit als Aufgabenfeld der Jugendarbeit ausbauen und weiterentwickeln

ln Schulbezogene Jugendarbeit ist einer der möglichen Schwerpunkte der Jugendarbeit (SGB VIII § 11, Abs. 3) mit einem eigenständigen Angebot und einem eigenen Bildungsauftrag. Aus dieser Rechtsgrundlage lässt sich der Anspruch auf Förderung in eigener Verantwortung – wie bei außerschulischen Angeboten – auch für Aktivitäten an und in Schulen ableiten.

2. Mit Aktivitäten und Projekten schulbezogener Jugendarbeit den Adressatenkreis der Jugendarbeit erweitern

Schulbezogene Jugendarbeit erschließt insbesondere für solche Kinder und Jugendliche, die von sich aus nicht den Weg in außerschulische Angebote oder zu den Jugendverbänden finden, die für Jugendarbeit typischen Bildungsmöglichkeiten.

3. Jugendarbeit dorthin bringen, wo sich Kinder und Jugendliche die längste Zeit des Tages aufhalten

Schulbezogene Jugendarbeit ist ein Beitrag zur Entwicklung der Schule zu einem Lebensraum, der Zeit und Gelegenheit für ganzheitliche Bildung und informelles Lernen ohne Leistungsdruck vorsieht. Schulbezogene Jugendarbeit ist eine mögliche Strategie für Jugendarbeit angesichts der Folgen der demografischen Entwicklung in Abwanderungsgebieten.

4. Kinder und Jugendliche von Anfang an beteiligen

Schulbezogene Jugendarbeit bezieht im Unterschied zu anderen Lern- und Betreuungsformen Kinder und Jugendlichen aktiv in die Planung, Durchführung, Mitgestaltung und Mitverantwortung der Aktivitäten ein. Eine besondere Rolle spielen Motivation und Befähigung zu freiwilligem Engagement.

5. Das Landesförderprogramm Schulbezogene Jugendarbeit ausbauen und verstetigen

Die Entwicklung des Förderprogramms und die Erfahrungen der Fachberatung bestätigen die Zielsetzung, Jugendarbeit anzuregen und zu unterstützen, mit eigenen Angeboten im Zusammenwirken mit Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften zur Verbesserung der Bildung von Kindern und Jugendlichen beizutragen sowie auf veränderte Lebensbedingungen junger Menschen einzugehen. Die kontinuierlich steigende Zahl förderfähiger Anträge belegt, dass eine Anpassung des bisherigen Ansatzes in Höhe von 160.000 € erforderlich ist. Angesichts dieser Entwicklung ist zukünftig von einem Förderbedarf in Höhe von 400.000 € jährlich auszugehen.

6. Stadt- und Kreisjugendringe als Drehkreuze schulbezogener Jugendarbeit stärken

Jugendringe sind besonders geeignet, in der Funktion eines Drehkreuzes der lokalen Jugendarbeit Kontakte zu Schulen zu initiieren und als Vermittler zur außerschulischen Jugendarbeit zu wirken. Auf diese Weise kann unter Einbeziehung der Jugendverbände ein breites Angebotsspektrum schulbezogener Jugendarbeit umgesetzt werden.

7. Den Zugang für Aktivitäten schulbezogener Jugendarbeit durch sozialpädagogische Fachkräfte an Schulen erleichtern

Sozialpädagogische Fachkräfte, als Schulsozialarbeiter/-innen in unterschiedlicher Trägerschaft oder gemäß Landesförderprogramm als Jugendsozialarbeiter/-innen an Schulen (JaS) in Trägerschaft der Jugendhilfe, sind häufig wichtige Kontaktstellen für außerschulische Träger der Jugendarbeit. Ein kontinuierlicher fachlicher Austausch zwischen Trägern, Einrichtungen und Strukturen der Jugendarbeit und den an Schulen tätigen sozialpädagogischen Fachkräften ist deshalb notwendig. Die kommunale Jugendarbeit des öffentlichen Trägers kann hier eine wichtige Koordination übernehmen. In der Aufgabenbeschreibung der JaS-Stellen sollte diese Koordinations- und Kooperationsfunktion zur Ermöglichung schulbezogener Jugendarbeit an Schulen explizit vorgesehen werden.

8. Die örtlichen öffentlichen Träger der Jugendhilfe und die zuständigen Stellen der Schulverwaltung müssen ihre gemeinsamen Aufgaben der Erziehung, Bildung und Betreuung klären und abstimmen

Der kommunalen Jugendarbeit kommt hier im Rahmen ihrer Planungsverantwortung eine besondere Rolle zu. Denn für die Einführung und Verstetigung von Angeboten schulbezogener Jugendarbeit sowie für die Weiterentwicklung der Jugendarbeit, auch der außerschulischen Angebote, wird eine Aufgabenklärung und Abstimmung aller beteiligten Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebote als Voraussetzung für eine Zusammenarbeit immer wichtiger.

9. Kooperationen mit Ganztagsschulen können die Jugendarbeit stärken

Als Kooperationspartner tätige Jugendringe und Jugendtreffs machen oft die Erfahrung, dass die Kooperationspartnerschaft die Träger und Organisationen der Jugendarbeit als Ganzes, auch die außerschulische Jugendarbeit im lokalen Umfeld, stärkt. An erster Stelle profitieren allerdings die Kinder und Jugendlichen von dem besonderen fachlichen Profil der Jugendarbeit, das über Kooperationspartnerschaften in ein ganztägiges Bildungsangebot einer Ganztagsschule Eingang findet. So können dem curricularen Lernansatz der Schule die partizipativen Inhalte des sozialen Lernens in der Jugendarbeit hinzugefügt werden. Insbesondere die offene Kinder- und Jugendarbeit, die im sozialräumlichen Umfeld von Ganztagsschulen aktiv und präsent ist, kann durch ihre Methoden, Inhalte und Räume dazu beitragen, Ganztagsschule mit lebensweltorientierten Angeboten zu bereichern

10. Kooperation der Jugendarbeit mit Ganztagsschulen erfordert eine Abwägung der Vor- und Nachteile

Träger der Jugendarbeit – bisher insbesondere Stadt- und Kreisjugendringe sowie Einrichtungen der Jugendarbeit – sind als gleichwertige Kooperationspartner aktiv. Sie verpflichten sich zu Aufgaben, die – anders als die Aktivitäten schulbezogener Jugendarbeit – nach derzeitiger Rechtslage deutlich über den Aufgabenbereich der Jugendarbeit hinausgehen und der schulischen Verantwortung zugeordnet sind. Pflichten und Rechte des Kooperationspartners gegenüber der Schule sowie die Finanzierungsgrundlagen sind dementsprechend in einer kultusministeriellen Bekanntmachung geregelt. Die aktuelle staatliche Finanzierung deckt lediglich den sogenannten Grundbedarf. Ein qualitativ anspruchsvolles Angebot ist ohne zusätzliche personelle, fachliche und finanzielle Ressourcen des Trägers nur schwer zu realisieren.

Deshalb gilt es, in jedem Fall vor Übernahme einer Kooperationspartnerschaft sorgfältig Aufwand, vorhandene Ressourcen und Ertrag gegeneinander abzuwägen. Insbesondere ist es notwendig, außerschulische Fachkräfte sowohl mit den erforderlichen fachlichen Qualifikationen als auch im notwendigen zeitlichen Umfang beschäftigen zu können.

Deshalb fordert der Bayerische Jugendring den Freistaat Bayern auf, die finanzielle Ausstattung der Ganztagsschule zu verbessern.

11. Die zeitlich-organisatorische Abstimmung der schulischen und außerschulischen Angebote verbessern

Die außerschulische Jugendarbeit stellt eine wichtige Ergänzung und Erweiterung der schulischen Bildung dar. Angesichts der Ausweitung der schulisch gebundenen Zeit junger Menschen soll deshalb dafür gesorgt werden, dass diese weiterhin an Angeboten der Jugendarbeit möglichst umfassend teilhaben können. Nach 16 Uhr sollen Schüler und Schülerinnen nicht mehr durch schulische Verpflichtungen gebunden werden, auch die Hausaufgaben müssen bis dahin erledigt werden können. Besonders wichtig sind außerdem die Optimierung der Schülertransportzeiten, das kommunale Gebäudemanagement bzw. die Öffnung schulischer Räume für Zwecke der Jugendarbeit sowie Regelungen für einen landkreisweit einheitlichen unterrichtsfreien Nachmittag. Kinder und Jugendliche sollen aber auch bestehende Lernorte wirkungsvoller Jugendarbeit wie Jugendbildungsstätten und Einrichtungen der Jugendarbeit für diese Lernformen nutzen können.

12. Individuelle Freistellungen von Schülerinnen und Schülern analog zum Gesetz für die Freistellung von Arbeitnehmer/-innen für Zwecke der Jugendarbeit ermöglichen

Um zu vermeiden, dass die Ausweitung der schulisch gebundenen Zeit zu einer weiteren Verringerung des ehrenamtlichen Engagements junger Menschen in der Jugendarbeit führt, soll eine individuelle Freistellung auf Basis einer gesetzlichen Regelung eingeführt werden, analog zum Gesetz für die Freistellung von Arbeitnehmer/-innen für Zwecke der Jugendarbeit.

Außerdem sollte eine ehrenamtliche Tätigkeit von Schülerinnen und Schülern in der Jugendarbeit als schulisches Praktikum, Projektarbeit oder im Rahmen von freiwilligen Intensivierungsstunden anerkannt werden.

13. Den kommunalen Jugendhilfeausschuss entscheidend beteiligen

Bedarfsermittlung und Angebotsplanungen für alle Bereiche der Förderung, Bildung, Erziehung und Betreuung in öffentlicher Verantwortung sollten maßgeblich unter Anwendung der Instrumente und Entscheidungsformen erfolgen, wie sie in der kommunalen Jugendhilfeplanung zur Anwendung kommen. Wesentlich ist hier die Einbindung des kommunalen Jugendhilfeausschusses.

14. Ansprechpartner/-innen und finanzielle Ressourcen für die Kooperation mit außerschulischen Trägern an jeder Schule vorsehen

Für die Kooperation mit außerschulischen Partnern, insbesondere mit der Kinder- und Jugendhilfe, sind Kompetenzen und zeitliche Ressourcen bei den Lehrkräften sowie Finanzmittel der Schule erforderlich, mit denen Jugendarbeitsangebote unterstützt werden können. Hierfür müssen Stundenanrechnungen erfolgen. Kenntnisse der Kinder- und Jugendhilfe und Kooperation mit professionellen Systemen im außerschulischen Umfeld müssen in der Ausbildung der Lehrkräfte, insbesondere in der zweiten Ausbildungsphase, systematisch verankert werden sowie in der Fortbildung kontinuierlich vermittelt werden.Wissen und Fähigkeiten, die Lehrkräfte zur Durchführung und Gestaltung von Schülerfahrten benötigen, können in Kooperation mit Trägern und Einrichtungen der Jugendarbeit vergleichbar der Jugendleiterausbildung vermittelt werden.

15. Die gemeinwesensorientierte Ausrichtung und Einbindung der Schulen verstärken

Das Zusammenwirken der Schule mit der Kinder- und Jugendhilfe, mit ihren Strukturen und Trägern, ist in Bildungsregionen zu verstärken, in gemeinsamer Zuständigkeit und Verantwortung zwischen Jugendhilfe und Schule zu verstetigen und mit Ressourcen zu versehen.

Fußnote:

1 vgl. Rahmenvereinbarung zur Zusammenarbeit von Schule und Jugendarbeit zwischen dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus und dem Bayerischen Jugendring, Juni 2007.

Beschlossen vom 141. Hauptausschuss des Bayerischen Jugendrings vom 19. bis 21. Oktober 2012

Patrick Wolf
er/ihm
Büroleiter und Queer-Beauftragter