23.10.2022

Wohnraum für junge Menschen!

Die Delegierten der 161. BJR-Vollversammlung positionieren sich im Beschluss umfangreich zum Thema Wohnraum für junge Menschen.

Inhaltsverzeichnis

Teil I - Einführung
Teil II – Forderungen mit Begründung

  1. Gemeinwohlorientierte Auszubildenden- und Studierendenwohnheime unterstützen und ausbauen
  2. Die Wohnungssituation junger Menschen durch Angebote der Jugendarbeit/Jugendhilfe verbessern
  3. Wohnungsgemeinnützigkeit wieder einführen
  4. Sozialen Wohnungsbau stärker fördern und jungen Menschen zugänglich machen
  5. Anpassung der finanziellen Unterstützungsleistungen für Wohnen
  6. Rekommunalisierung von Wohnraum
  7. Mieter:innen bei der Wahrung ihrer Rechte besser unterstützen
  8. Mietpreisbremse Bayern beibehalten und verbessern
  9. Wohnen und Mobilität - Infrastrukturen erhalten und ausbauen
  10.  Wohnen und Klimaschutz – die Kosten für die Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels dürfen nicht den Schwächsten aufgebürdet werden
  11.  Drohende Kosten der Energiekrise – keine zusätzlichen Belastungen für junge Menschen

 

Teil I - Einführung

Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Insbesondere in den Ballungsräumen haben immer mehr Menschen erhebliche Schwierigkeiten, bezahlbaren Wohnraum für sich zu finden. Hierbei handelt es sich keineswegs um ein Luxusproblem, denn beim Thema Wohnen geht es unmittelbar um die eigene Existenz. Wenn eine Gesellschaft es nicht schafft, die Grundbedürfnisse ihrer Bürger:innen zu garantieren, dann ist das als demokratiegefährdend einzustufen. Es ist die wesentliche Aufgabe von Politik, die grundlegenden Lebenszusammenhänge zu gestalten und für entsprechende Rahmenbedingungen zu sorgen. Tut sie das nicht, verliert sie die politische Legitimation und der soziale Frieden ist gestört.

Nach 75 Jahren staatlicher Wohnungs(bau)politik der Bundesrepublik Deutschland schlafen jedes Semester Student:innen in ihren Autos in der Nähe der Universitäten, weil sie keine bezahlbare Unterkunft finden. Auszubildende tun sich ebenfalls schwer, mit ihrem kleinen Gehalt eine Wohnung oder auch nur ein Zimmer zu finanzieren, das Gleiche gilt für Praktikant:innen, Berufsfachschüler:innen und Berufseinsteiger:innen. Oft ist der Auszug als wichtiger Schritt der Verselbständigung junger Menschen nur mit Unterstützung der Familie möglich – Und nicht jede Familie ist in der Lage diese Unterstützung zu leisten. Wenn die Beziehungen zwischen Eltern und Heranwachsenden gestört sind, durch Überforderung, tägliche Konflikte, Gewalt, Armut, etc., entscheiden sich nicht wenig junge Menschen für ein Leben auf der Straße. Sie leben dann in Obdachlosigkeit, entweder sichtbar in den Fußgängerzonen der Städte oder quasi unsichtbar von Couch zu Couch bei Freund:innen und Bekannten. Obwohl statistisch gesehen auf jede:n Einwohner:in in Deutschland im Durchschnitt eine Wohnfläche von 47,4 Quadratmeter entfällt (www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Wohnen/Tabellen/wohnungsbestand-deutschland.html;jsessionid=BA1F808C727736B4430BC8F093278FCE.live711), müssen viele Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien in beengten Wohnverhältnissen leben, da zu wenige Sozialwohnungen verfügbar sind oder auch weil das normale Durchschnittsgehalt für eine durchschnittliche Wohnung schon lange nicht mehr ausreicht. Für Menschen mit Behinderungen und für migrantisch gelesene Menschen ist die Herausforderung auf dem Wohnungsmarkt noch größer, eine geeignete Wohnung zu finden, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Gerade aus der Sicht junger Menschen sind hier also staatliche Eingriffe zur Lenkung des Wohnungsangebots notwendig. Wohnen ist eben keine beliebig austauschbare Ware, deren Herstellung und Preis einfach den Kräften des Marktes überlassen werden kann – Denn die Kräfte-Gesetze des Marktes sind so einfach wie brutal: Wo Knappheit herrscht, dort steigen die Preise und wer nicht zahlen kann, muss gehen. Die Schaffung von zusätzlichem Angebot an Wohnraum, was nach der Marktlogik eigentlich auf die Phase der Knappheit folgen müsste, bleibt aber weitgehend aus. Das liegt in der Logik der Sache, denn der “Boden”, also der Platz für Wohnraum ist nicht beliebig vermehrbar und daher begrenzt. Es handelt sich hier also um eine wesentliche und langfristige Steuerungsaufgabe der Politik, die hier wieder verstärkt Verantwortung übernehmen muss auf allen Ebenen. Die bayerische Jugendarbeit stellt daher die folgenden Forderungen:

Teil II – Forderungen mit Begründung

1. Gemeinwohlorientierte Auszubildenden- und Studierendenwohnheime unterstützen und ausbauen

Schüler:innen, Auszubildende und Studierende müssen oft im Laufe ihrer Ausbildung aus unterschiedlichen Gründen den Wohnort oder die Wohnung wechseln und sehen sich so mehrmals den Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche ausgesetzt. Gleichzeitig verfügen sie über geringere finanzielle Mittel als andere Menschen, die mit ihnen um den knappen Wohnraum konkurrieren.
Vor allem in den Ballungsgebieten muss ein auf junge Menschen in (Aus-)Bildung besonders zugeschnittenes und gleichzeitig bezahlbares Wohnungsangebot gefördert werden. Auch auf dem Land würden junge Menschen von so einem speziellen Angebot profitieren, da hier oft große Distanzen zwischen Ausbildungsbetrieb, Berufsschule/Universität und Wohnort überwunden werden müssen, was erhebliche finanzielle Belastungen z.B. durch Mobilitätskosten mit sich bringt. Daher bedarf es eines Bund-Länderprogramms für studentisches Wohnen, für junges Wohnen und Wohnen für Auszubildende.

Die bereits existierenden gemeinwohlorientierten Studierendenwerke müssen daher gestärkt und bedarfsgerecht ausgebaut werden. Dies bedeutet neben der Sanierung und Nachverdichtung bestehender Wohnheime insbesondere einen massiven Ausbau der verfügbaren Wohnheimplätze für Studierende in ganz Bayern.

Analog hierzu müssen ebenso gemeinwohlorientierte Auszubildendenwerke ins Leben gerufen werden, die ein bedarfsgerechtes und bezahlbares Wohnangebot für Auszubildende in der Stadt und auf dem Land zur Verfügung stellen können. Die Lebens-, Ausbildungs- und Wohnbedingungen Auszubildender können so in Bayern dauerhaft verbessert werden. Dies ermöglicht ein eigenständiges und selbstbestimmtes Wohnen auch für diejenigen Auszubildenden, die sich in Kommunen mit angespanntem Wohnungsmarkt nicht aus eigener Kraft versorgen können. Durch Auszubildendenwerke können zusätzlich zu bestehenden Angeboten der Beratung und Unterstützung Auszubildender bayernweit weiter vernetzt werden und damit dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden.

Die Förderung muss dabei mit Qualitätskriterien verbunden werden, etwa hinsichtlich der Kooperation mit öffentlichen und gemeinwohlorientierte Trägern, Genossenschaften sowie Azubi- und Studierendenwerke, um auslaufende Sozial- und Belegungsbindungen bei privater Eigentümerschaft zu vermeiden. Ebenso zentral ist dabei die Verankerung der Mitbestimmung der Bewohner:innen in Wohnheimen für junge Menschen in (Aus-)Bildung.

Daneben müssen Einrichtungen des sozialpädagogisch begleiteten Jugendwohnens der freien Träger der Jugendhilfe für minderjährige und junge volljährige Auszubildende bedarfsgerecht zur Verfügung stehen; eine Förderung der Investitionskosten ist hierfür ebenso notwendig wie Tageskostensätze, die einerseits auskömmlich für die Träger und zugleich refinanzierbar für die jungen Menschen sind.

2. Die Wohnungssituation junger Menschen durch Angebote der Jugendarbeit/Jugendhilfe verbessern 

Es besteht Bedarf an Wohnformen, die die Interessen und Bedürfnisse von jungen Menschen berücksichtigen. Deshalb müssen Projekte der Jugendarbeit in Bayern gefördert werden, welche (Wohn-)Beratung sowie konkrete Projekte im Themenfeld Wohnen anbieten können. Im ländlichen Raum ist dies ein Beitrag gegen Abwanderungstendenzen durch die Aktivierung und Neuschaffung von bezahlbarem Wohnraum für junge Menschen in Kombination mit attraktiven Mobilitätsangeboten und Breitbandausbau. In Kommunen mit angespanntem Wohnungsmarkt (203 in Bayern seit Januar 2022 laut MieterschutzVO) dagegen müssen bezahlbare Lösungen für junge Menschen gemeinsam mit Kommunen und der Wohnungswirtschaft gefunden werden, um ein selbstständiges und bezahlbares junges Wohnen von der (Aus-)Bildung bis zum Berufsanfang zu ermöglichen.

Um prekäre Wohnverhältnisse von jungen Menschen in Bayern zu verbessern bzw. präventiv möglichst zu vermeiden, braucht es neben bedarfsgerechten Wohnangeboten auch Jugendwohnberatungen auf kommunaler Ebene. Die Erfahrungen der Jugendinformations-Einrichtungen in Nürnberg und München mit ihrer Wohnberatung für junge Menschen bis 26 Jahren zeigen dabei, dass der Beratungsbedarf seit Jahren steigt und die Beratungssuchenden mehrheitlich bereits wohnungslos sind oder akut davon betroffen. Damit diese Hilfe bei der Wohnungssuche oder (drohender) Obdachlosigkeit erhalten, braucht es ein neben einem Beratungsangebot auf kommunaler Ebene auch dringend eine zielgruppenspezifische Notunterbringung von obdachlosen jungen Menschen außerhalb der klassischen Notunterkünfte mit mehrheitlich älteren Erwachsenen.

3. Wohnungsgemeinnützigkeit wieder einführen

Durch eine Steuerreform 1990 wurde die Möglichkeit für Wohnungsunternehmen abgeschafft, sich als gemeinnützig anerkennen zu lassen. Dies bedeutete für sie steuerliche Vergünstigungen und im Gegenzug auch die Verpflichtung, sich an besondere Auflagen zu halten. Nach Wegfall der Wohnungsgemeinnützigkeit sind in der Folge zahlreiche kommunale Wohnungsunternehmen privatisiert worden oder agieren auch in kommunaler Trägerschaft wie alle anderen Akteure nach den Spielregeln des Marktes anhand von Angebot und Nachfrage. Die Wiedereinführung der Gemeinnützigkeit für Wohnungsunternehmen würde langfristig dazu beitragen, ein von der Wohnungsmarktlogik unabhängiges Wohnungsangebot zu schaffen. Konkret geht es um eine Freistellung dieser Unternehmen von der Körperschafts-, Vermögens- und Gewerbesteuer und im Gegenzug um deren Verpflichtung auf eine Kostendeckungsmiete, Reinvestition von Überschüssen in den Bestand oder in Neubauten, sowie um die Kappung von Renditeausschüttungen.

4. Sozialen Wohnungsbau stärker fördern und jungen Menschen zugänglich machen

Der “Soziale Wohnungsbau” ist das wesentliche Element der sogenannten Objektförderung, also der “Investition in Steine”.  Es geht dabei um die Einführung, bzw. den Ausbau von Investitionsprogrammen mit dem Ziel günstigen Wohnraum zu schaffen, der durch Zweckbindung sozial Benachteiligten zur Verfügung steht. Nach dem Rückzug des Bundes aus der Wohnungsbauförderung und der Abschaffung der Privilegien der Wohnungsgemeinnnützigkeit fiel die Zahl der Sozialwohnungen von 3,9 Mio (1987) auf 1,1 Mio (2020). Jedes Jahr verlieren rund 100.000 Wohnungen ihre Sozialbindung. Der Neubau von Sozialwohnungen kam praktisch zum Erliegen, wohingegen der Bedarf eher stieg, sodass man heute von rund 4 Mio. fehlender Wohnungen mit Sozialbindung in Deutschland ausgeht (www.tagesschau.de/inland/sozialwohnungen-rueckgang-101.html). Es gilt also die bestehenden Förderprogramme des sozialen Wohnungsbaus deutlich auszubauen, neue Förderprogramme aufzulegen, um den Bestand von günstigen Wohnungen mit Sozialbindung wieder auf einen bedarfsgerechten Bestand zu heben. Dabei muss ein bestimmter Prozentsatz dieser Wohnungen an junge Menschen vergeben werden. Zudem läuft die Wohnungsbindung in der Regel nach 25 Jahres aus. Dieser Zeitraum muss deutlich verlängert werden, bzw. die Bindung sogar für die Lebensdauer des Gebäudes bestehen bleiben.

5. Anpassung der finanziellen Unterstützungsleistungen für Wohnen

Die individuelle Förderung von sozial benachteiligten Menschen zur Finanzierung der Kosten des Wohnens wird als Subjektförderung (“Investition in Menschen”) bezeichnet und ist gegenüber den Maßnahmen der Objektförderung eine sinnvolle und schnell umsetzbare Ergänzung. Das Wohngeld ist eine Leistung, die einkommensschwachen Haushalten hilft, die Mietkosten finanzieren zu können. Die Wohngeldreform des Bundes zum 01. Januar 2020 sieht im Hinblick auf die Bruttokaltmiete zwar eine Erhöhung und künftige Dynamisierung vor, die allerdings durch die stark steigenden Energie- und Heizkosten mehr oder weniger aufgezehrt wird. Es bedarf an dieser Stelle einer Entlastung durch die Berücksichtigung realistischer Energie-/Heizkosten bei der Berechnung des verfügbaren Haushaltseinkommens oder es muss alternativ eine Strom- und Heizkostenkomponente beim Wohngeld eingeführt werden, die die Belastung durch steigende Energie- und Heizkosten im Wohngeld abfängt.

Viele Menschen wissen nicht, dass Ihnen aufgrund ihres verhältnismäßig geringen Einkommens Wohngeld zur Finanzierung ihrer Mietkosten zusteht. An dieser Stelle muss künftig besser und zielgerichteter informiert werden, um Familien zu entlasten und den Kindern damit ein besseres Aufwachsen zu ermöglichen. Für Jugendliche und junge Erwachsene in Ausbildung/Studium gibt es die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) der Bundesagentur für Arbeit und für Student:innen gibt es das BAföG. Auch über diese Finanzierungsinstrumente muss künftig besser informiert werden und vor allem müssen die Förderhöhen regelmäßig den steigenden Lebenshaltungskosten bedarfsgerecht angepasst werden (Vgl. DGB, Anforderungen für eine 27. BAFÖG-Novelle, 2022,  jugend.dgb.de/meldungen/studium/++co++3ff22550-53ea-11eb-b1ea-001a4a16011a).

6. Rekommunalisierung von Wohnraum

Die Veräußerungen von kommunalen Wohnungsbeständen haben leider nicht zu einer Verbesserung der Situation auf dem Wohnungsmarkt beigetragen – ganz im Gegenteil. Der Einfluss der Kommunen auf den örtlichen Wohnungsmarkt ist gesunken, Investitionen aus der Privatwirtschaft haben nicht für eine Entspannung gesorgt und die vergrößerte private Konkurrenz Im Wohnungsmarkt hat auch nicht zu sinkenden Mietpreisen geführt.
Wir fordern die Kommunen in Bayern auf, kommunales Wohneigentum nicht mehr zu verkaufen und im Sinne einer breit aufgestellten Rekommunalisierung Wohnungsbestände gezielt wieder aufzukaufen. In Kommunen mit angespanntem Wohnungsmarkt darf es außerdem keinen Verkauf von kommunalen/freistaatlichen Flächen mit Baurecht an die private Wohnungswirtschaft geben. Ausgenommen hiervon sind gemeinwohlorientierte Bauträger/-Initiativen wie z. B. Genossenschaften oder Mietshaussyndikate.

Weiterhin besteht Handlungsbedarf für die Kommunen im Hinblick auf die Unterbindung der Zweckentfremdung von Wohnraum, wie z.B. Leerstand von Häusern und Wohnungen aufgrund von Spekulation oder die dauerhafte Vermietung als AirBnB-Objekt.

Bei kommunalen Bauvorhaben von neuem Wohnraum sind die Belange junger Menschen unbedingt zu berücksichtigen. Konkret heißt das, dass z.B. auch günstige Ein-Zimmer-Wohnungen und Wohnheime geplant und gebaut werden müssen und es zentrale Stellen in der Kommune für die Vermittlung von privatem und öffentlichem Wohnraum für junge Menschen geben soll.

7. Mieter:innen bei der Wahrung ihrer Rechte besser unterstützen

Etwa die Hälfte der Menschen in Bayern wohnt zur Miete und insbesondere in den Großstädten ist dies das dominierende Wohnverhältnis. Zum Schutz der Mieter:innen gibt es in Deutschland ein, im europäischen Vergleich, eher strenges Mietrecht, das Mieter:innen viele Schutzrechte einräumt.  Dennoch verlieren jedes Jahr zahlreiche Menschen ihre Wohnungen aus unterschiedlichen Gründen. Der häufigste Grund ist hierbei vor allem Steigerung der Miet- und Mietnebenkosten. Hierbei wird zudem noch durch sogenannte „Luxus-Sanierungen“ getrickst, bei denen hohe Sanierungskosten auf die Mieter:innen umgelegt werden. So kann die Miete auch deutlich über die ortsüblichen Vergleichsmieten erhöht werden. Für Menschen mit geringem Einkommen ist dies meist eine nicht zu nehmende Hürde und führt dann zu Kündigungen zugunsten solventerer Mieter:innen.

Aber auch die Kündigungen wegen vermeintlichen Eigenbedarfes der Vermietenden nehmen stark zu. So gab der Deutsche Mieterbund (DMB) 2020 an, dass sich die Zahl der vom DMB geführten Prozesse wegen Eigenbedarfskündigungen im Vergleich zu 2010 verdoppelt hat (www.tagesschau.de/investigativ/panorama/eigenbedarf-wohnungen-klagen-101.html). Hierbei ist oft nicht klar, ob wirklich Eigenbedarf besteht, oder ob nur sehr kurzzeitig Verwandte einziehen und nach kurzer Zeit wieder ausziehen – oder gar nicht erst wirklich einziehen. So können alte Mietverhältnisse aufgelöst werden, um neue Mietverträge mit höheren Mieten abschließen zu können. Für Eigenbedarfskündigungen müssen künftig höhere Hürden angelegt werden, wie z.B. ein Wiedervermietungsverbot für 5 Jahre nach Kündigung wegen Eigenbedarfs.

Weitere häufige Gründe für den Verlust der Wohnung sind private Überschuldungen, Trennungen oder psychische und physische Erkrankungen als Gründe für Wohnungsverluste.  Den meisten Fällen ist gemein, dass die betroffenen Mieter:innen geringes Wissen über ihre Rechte haben. Oft kommen auch noch mangelnde Sprachkenntnisse, ein fehlendes Vertrauen gegenüber öffentlichen Institutionen oder schlicht das Fehlen einer rechtlichen Vertretung hinzu. In diesen Fällen hilft auch das mieter:innenfreundliche deutsche Mietrecht nicht – denn die Betroffenen sind schlicht hilflos bei Rechtsstreitigkeiten. Recht haben heißt eben nicht unmittelbar auch Recht bekommen. Deshalb braucht es dringend bessere Informationsmöglichkeiten für Menschen, um über die Rechte als Mieter:in aufzuklären. Hierbei muss aktiv vor allem auf besonders benachteiligte Gruppen zugegangen werden. Auch der Zugang zu rechtlicher Unterstützung muss erleichtert werden, damit das Mietrecht als Schutzrecht auch seine Wirkung entfalten kann.

Kündigungen sind aber nur die eine Seite. Vor allem ohnehin gesellschaftlich benachteiligten Gruppen steht der Zugang zum Mietmarkt oftmals gar nicht erst offen. Eine Kaution kann für Menschen mit kleinem Einkommen bereits eine unüberwindbare Hürde darstellen. Fehlende Bürgschaften etwa durch prekäre oder fehlende Familienverhältnisse verschärfen das Problem noch. Aber auch befristete Arbeitsverträge oder niedrige Ausbildungsgehälter, sind auf dem freien Wohnungsmarkt oft ein Ausschlusskriterium für einen Mietvertrag. Leichterer Zugang zu staatlichen Bürgschaften und zinsfreie Kredite für notwendige Kautionen, verbunden mit einer Informationskampagne könnten diese Hürden leichter überwindbar machen.

Rassismus ist ebenfalls eine Hürde, um auf dem Mietmarkt eine Wohnung zu finden. In einer Studie von Journalist:innen des BR und des Spiegels konnten strukturelle Benachteiligungen alleine aufgrund ausländisch klingender Namen nachgewiesen werden (interaktiv.br.de/hanna-und-ismail/). Diese Feindlichkeit gegenüber marginalisierter Gruppen findet sich dabei nicht nur bei Privatvermieter:innen, sondern auch in kommunalen Wohnbaugesellschaften. Anonymisierte Bewerbungen könnten hier Abhilfe schaffen. Prekäre Lebensverhältnisse, die oft Rückschlüsse auf das Milieu der Bewerber:innen zulassen, müssen angebbar bleiben, um positive Abwägungen zu Gunsten sozial Benachteiligter weiterhin zu ermöglichen. Auch wenn die Rechte von Bewerber:innen durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützt werden sollen, zeigt sich in der Realität, dass Menschen marginalisierter Gruppen durch die geringe Durchsetzungskraft des Gesetzes weiterhin bei der Auswahl als Mieter:innen benachteiligt werden.

8. Mietpreisbremse Bayern beibehalten und verbessern

Die von der Bayerischen Staatsregierung erlassene Mieterschutzverordnung von 2015 sowie deren Neufassungen 2019 und 2022 werden ausdrücklich begrüßt. Diese sog. “Mietpreisbremse” hat zum Ziel, die möglichen Steigerungen von Mieten in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten zu begrenzen. Die getroffenen Regelungen, wie die Begrenzung der Mietpreishöhe bei Neuvermietung, die Senkung der Kappungsgrenze und die Kündigungssperrfrist bei Umwandlung von Wohneigentum, erscheinen zielführend. Verbesserungsbedarf gibt es allerdings für den Fall der Nichteinhaltung der Regelungen der Mietpreisbremse. Die Vermietenden müssen bei Rüge durch die Mietenden die zu viel bezahlte Miete für max. 30 Monate rückwirkend an die Mietenden bezahlen. Da es ansonsten keine Strafe gibt, stellt dies für die Vermietenden also ein “kalkuliertes” Risiko dar, solange keine darüberhinausgehenden Strafen drohen.

9. Wohnen und Mobilität - Infrastrukturen erhalten und ausbauen

Die Themen Wohnen und Mobilität sind strukturell verwoben und bedingen sich wechselseitig. Dabei treten Fragestellungen auf, die vielfältig und komplex sind und das Thema Generationsgerechtigkeit berühren. Nicht überall ist Wohnraum knapp. Es gibt auch in Bayern Landkreise und Städte mit einem ausreichenden Angebot an Wohnraum, der vergleichsweise günstig zu haben ist. Doch hier fehlen oftmals Job-Angebote und Ausbildungsmöglichkeiten sowie Freizeit- und Entwicklungsangebote, die eine Bleibeperspektive bieten und die Attraktivität des Standortes erhöhen. In solchen strukturschwachen Regionen sind ein Mehr an Mobilitätsangeboten für junge Menschen, der Ausbau von Kultur-, Freizeit- und Bildungsinfrastrukturen und der Aufbau des Mobilfunks sowie von Internetanbindungen essentiell: Dies betrifft nicht nur die Aufwertung strukturschwacher Regionen durch die Möglichkeit, auch außerhalb großer und mittlerer Metropolen Fuß fassen zu können, sondern wäre auch ein Schritt gegen Abwanderung und Überalterung in diesen Regionen. Bereits heute ist die Spirale nach unten greifbar: Wo zahlungskräftige Nachfrage fehlt, schafft die Privatwirtschaft auch keine Infrastruktur, wird der ÖPNV nicht ausgebaut, werden keine Glasfaserkabel verlegt, werden soziale und kulturelle Einrichtungen geschlossen. Trotz der Verfügbarkeit von günstigem Wohnraum setzt sich der Wegzug von meist jungen Menschen fort und der Zuzug bleibt aus. 

Doch auch in den sogenannten Boomregionen sind junge Menschen oftmals Strukturverlierer:innen. Im Spiel der Marktkräfte können sich die meisten nicht aussuchen, wo sie wohnen möchten (Abhängigkeit vom Arbeitsplatz, soziale Aspekte wie Familie, Vermögensverhältnisse). Schon heute pendeln viele junge Menschen weite Strecken zu ihren Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätzen, da sie sich standortnahes Wohnen nicht leisten können. Nicht nur junge Menschen, die dabei auf den ÖPNV angewiesen sind, bedürfen des Ausbaus dieser Infrastruktur. Dies ist im Zeitalter nachhaltiger Mobilitätsfragen schlichtweg alternativlos, darf allerdings nicht zu einer finanziellen Überlastung führen: Das bayernweite Jugendticket (Vgl. Beschluss der Vollversammlung des BJR vom 24.10.2021 „Ein bayernweites Jugendticket bis 2023“) für junge Menschen jenseits von regionalen Semestertickets muss nach wie vor das Ziel sein.

10. Wohnen und Klimaschutz – die Kosten für die Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels dürfen nicht den Schwächsten aufgebürdet werden

Für das Erreichen der Klimaziele im Gebäudebereich besteht großer Handlungsbedarf, denn ein Drittel des Endenergieverbrauchs sowie 30 Prozent aller Treibhausgasemissionen Deutschlands entstehen hier. Zur energetischen Sanierung der Gebäude sind Milliarden-Investitionen notwendig, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Die Kosten hierfür werden vor allem von den Mieter:innen gestemmt, denn diese trifft die CO2-Preis-Umlage einmal über die Strom und Gasrechnung sowie über den Mietzins, über den die Vermietenden die Sanierungskosten ebenfalls anteilig umlegen können. Die von der Bundesregierung kürzlich beschlossene Aufteilung der Kohlendioxidkosten stellt zwar eine Verbesserung des Status Quo dar, führt aber weder zu neuen Anreizen für Eigentümer:innen, Wohnraum energetisch zu sanieren, noch dazu, dass Mieter:innen im Bereich der Wohnkosten finanziell entlastet werden.
In einem Initiativbericht zur Wohnsituation in Europa hat das Europäische Parlament in diesem Zusammenhang unter anderem eine “Warmmietenneutralität” bei Renovierungen und Sanierungen gefordert, um den Kostensteigerungen entgegenzuwirken (www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0020_DE.html). In diesem Sinne sind nationale Regelungen einerseits und gut ausgestattete Förderprogramme andererseits notwendig, um die Kosten zur Bewältigung des Klimawandels nicht den sozial schwachen Familien und jungen Geringverdiener:innen aufzubürden.

11. Drohende Kosten der Energiekrise – keine zusätzlichen Belastungen für junge Menschen

Damit die zu erwartenden hohen Aufschläge beim Energieverbrauch die jungen Menschen nicht vor existenzielle Probleme, wie z. B. unbeheizter Wohnung, drastischen Sparmaßnahmen bis hin zur Überschuldung stellen, müssen Maßnahmen zum Schutz der Mieter:innen ergriffen werden.
Hierzu gehört insbesondere die in Punkt 5 aufgeführte Reform des Wohngelds, aber auch der Schutz von jungen Mieter:innen vor Kündigung aufgrund nicht fristgerecht bezahlter Nebenkostenabrechnungen. Ebenfalls müssen Energieschulden vermieden und Energiesperren verhindert werden. Bund und Länder müssen sich auf Lösungen eines Ausgleichs von Zusatzbelastungen verständigen, die nicht junge Menschen ausklammern, weil sie sich z. B. in (Aus-)Bildung befinden und keiner sozialversicherungspflichtiger Tätigkeit nachgehen. Bisherige Ansätze zur Milderung der Belastungen der Energiekrise gehen weitgehend an der Lebensrealität der jungen Menschen vorbei.

Patrick Wolf
er/ihm
Büroleiter und Queer-Beauftragter