Keine Flucht erfolgt ohne Grund.
Fluchtgeschichten sind immer Geschichten von Krieg und Gewalt, Diskriminierung, Verfolgung oder Unterdrückung sowie schweren Menschenrechtsverletzungen; Geschichten von wirtschaftlichem oder sozialem Elend, Krankheiten – vor allem von Verzweiflung; Geschichten von Gefahren, Schleppern, vergeblicher Hoffnung, Entfremdung, Heimatlosigkeit und dem Gefühl, nicht willkommen zu sein.1
Nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat jede und jeder das Recht, sein Land zu verlassen, in dieses zurückzukehren und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen.2 Die Genfer Flüchtlingskonvention definierte vor über 60 Jahren rechtlich bindend, wer ein Flüchtling ist, welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche sozialen Rechte sie oder er von den Unterzeichnerstaaten erhalten sollte.3 Sie beschreibt auch die Pflichten, die ein Flüchtling dem Gastland gegenüber erfüllen muss. Um nach der Genfer Flüchtlingskonvention einen Flüchtlingsschutz in Deutschland zu bekommen, muss das Leben und die Freiheit des Menschen im Herkunftsstaat wegen dessen „Rasse“, Religion, Staatszugehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein. Darüber hinaus genießen politisch Verfolgte nach Art. 16 a Grundgesetz Asyl. Im Rahmen der europäischen Einigung und dem Ausbau der Europäischen Union wurde die deutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik in den letzten 20 Jahren immer enger mit der europäischen Flüchtlingspolitik verbunden. Mit dem Dubliner Übereinkommen von 1990 wurde als Grundprinzip festgelegt, dass das Land in das Schutzsuchende zuerst einreisen auch für deren Asylantrag zuständig ist. In den folgenden Jahren versuchten die EU-Staaten in weiteren Verträgen und Richtlinien die Asyl- und Einwanderungspolitik weiter zu vereinheitlichen, indem einheitliche Normen und Verfahren entwickelt wurden. Zu nennen sind hier u.a. die Aufnahmerichtlinie (2003) mit Vorgaben zu sozialen Aufnahme-, Unterbringungs- und Versorgungsbedingungen, die Qualifikationsrichtlinie (2004) mit Mindestnormen für die Anerkennung von Asylsuchenden sowie für Rechte von anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Geschützten, die „Asylverfahrensrichtlinie“ (2005) mit Mindeststandards für ein vereinheitlichtes Asylverfahren sowie die Einrichtung eines Flüchtlingsfonds. Immer ging es dabei um Fragen der Lastenverteilung beim Flüchtlingsschutz. Seit 2013 besteht ein „Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS)“.4
Neben der rechtlichen Veränderung stehen wir heute vor dem Wandel der globalen Migrationsbewegungen und zunehmender Flüchtlingszahlen, die Antworten erfordern. Beispielsweise werden im Asyl- und Flüchtlingsstatus Beweggründe wie Armut und Zerstörung der Lebensgrundlage durch den Klimawandel nicht deutlich.
Unsere Lebens- und Wirtschaftsweise entzieht vielen Menschen andernorts die Lebensgrundlage. Dazu zählen maßloser Ressourcenverbrauch und die Zerstörung von Ökosystemen. Wir alle – die Wirtschaft, die Politik, die Gesellschaft und jede/jeder Einzelne – sind mitverantwortlich für die Bedingungen, die Menschen in die Flucht treiben. Kein Mensch sollte fliehen müssen! Hier kann jede und jeder Einzelne zur Veränderung beitragen! Viele Jugendverbände im BJR engagieren sich für den fairen Handel und schaffen Bewusstsein für kritischen Konsum. Wir leben heute auf dem reichsten Kontinent der Welt und gehören einer der wenigen Nationen an, die fast unbeschränkt die ganze Welt bereisen können. Aus dieser mehrfach privilegierten Situation heraus kommt uns in Deutschland und Europa eine große Verantwortung zu. Wir müssen unsere Wirtschafts- und Lebensstile grundlegend überprüfen, um für alle Menschen weltweit und für kommende Generationen eine hohe Lebensqualität zu sichern. Wir setzen uns für weltweite Gerechtigkeit und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung ein.
Die deutsche und europäische Asylpolitik ist auf Abwehr ausgerichtet, spätestens seit der Änderung des Art. 16 a GG 1993 und der ersten Dublin-Verordnung5 2003, nach der Asylsuchende in dem Mitgliedsstaat den sie zuerst betreten, ihren Asylantrag stellen müssen.
Menschen, die in Deutschland Schutz vor Verfolgung, Krieg oder gesellschaftlicher Ausgrenzung in ihren Herkunftsländern suchen, stehen vor großen Hindernissen und können die Bundesrepublik nur auf gefährlichen Wegen erreichen. Die Kontrollen und Abwehrmaßnahmen an den Außengrenzen der EU, wie z. B. durch die europäische Agentur „FRONTEX“6 und durch Maßnahmen im Innern steigern die Gefahren für Schutzsuchende. Nicht alle europäischen Staaten erfüllen die Standards der EU-weiten Asylverfahrensrichtlinien und teilweise kommt es zu Menschenrechtsverletzungen.
Derzeit wird fast jeder vierte Asylantrag von deutschen Behörden inhaltlich gar nicht geprüft7, sondern mit der bloßen Überstellung in ein anderes EU-Land nach der Dublin-III-Verordnung8 abgewickelt. Europa braucht mehr Solidarität und Menschlichkeit bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Deutschland darf dabei andere Länder nicht im Stich lassen.
Auch die Aufnahme über die Kontingentlösungen für syrische Flüchtlinge kommt bisher nur schleppend voran. Die letzten Flüchtlinge aus dem ersten Kontingent, wie es auf der Innenministerkonferenz (IMK) im Dezember 2012 beschlossen wurde, kamen erst im Mai 2014 an. Aus dem zweiten Kontingent sind erst 400 Menschen eingereist. Nach dem Beschluss der IMK vom 12. Juni 2014 sollen weitere 10.000 Flüchtlinge aufgenommen werden. Der Bedarf ist riesig. Allein für das zweite Kontingent gab es etwa 76.000 Anträge. Darüber hinaus gibt es in fast allen Bundesländern – bis auf Bayern – eigene kleinere Aufnahmeprogramme. Darüber wurden laut IMK bisher 4.500 Visa erteilt.
Wir fordern daher:
Nicht immer ist ein faires Asylverfahren9 in den Aufnahmestaaten gewährleistet, lange Bearbeitungszeiten sorgen oft dafür, dass die Antragstellenden im Ungewissen leben. Darüber hinaus stellen wir fest, dass die gute Tradition des Kirchenasyls ausgehöhlt und nicht mehr respektiert wird. Das Kirchenasyl ist ein wichtiges Instrument, um Flüchtlingen vorübergehend Aufnahme in Kirchengemeinden zu gewähren, wenn diesen Abschiebung droht, die mit der Gefährdung für Leib und Leben verbunden ist.
Wir fordern daher:
Das Asylrecht hat einen europäischen Rahmen, ist aber prinzipiell Bundesrecht. In der Ausführung erlassen die einzelnen Bundesländer eigene Regelungen. Bayern ist bundesweit am restriktivsten. Daher bekräftigen wir hiermit den BJR-Hauptausschuss-Beschluss „Flüchtlinge brauchen Freunde!“ vom März 2014, der insbesondere die Verbesserung der Lebensbedingungen junger Flüchtlinge und ihrer Zukunftschancen in den Blick nimmt.
Wir fordern weiterhin:
Das Zusammenleben aller Menschen soll von Achtung, Akzeptanz und Toleranz geprägt sein. Der Bayerische Jugendring begrüßt ausdrücklich eine Einwanderung als Chance im Sinne einer Bereicherung unserer Kultur.
Es gibt in Deutschland und in Bayern vorbildhafte Initiativen, die zeigen, wie ein gutes Zusammenleben und eine aufmerksame, menschenwürdige Begleitung funktionieren können.
Damit in vielen weiteren Ortschaften das Leben von und mit Asylsuchenden und Flüchtlingen gelingen kann, ist es nötig
Das Menschenrecht auf Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen, religiösen, sozialen und kulturellen Leben darf niemand verwehrt werden. Flüchtlinge jedoch haben in Deutschland kein Recht zur politischen Betätigung, ehrenamtliches Engagement ist erschwert, je nach Unterbringungsort und Aufenthaltsstatus sind die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und Teilhabe, beispielsweise durch Erwerbsarbeit, sehr unterschiedlich gestaltet und teils unmöglich.
Wir fordern daher:
Zunehmend stehen gerade in ländlichen Räumen Bewohner/-innen sowie Untergebrachte vor besonderen Herausforderungen, da Gemeinschaftsunterkünfte oft abgelegen in Dörfern eingerichtet werden. Dies geschieht oftmals ohne vorherige Information der Menschen vor Ort. Diese sind verunsichert und haben Ängste, die von Rechtsextremen ausgenutzt werden können. Die Asylsuchenden finden in den Dörfern häufig eine unzureichende Infrastruktur vor und müssen auch wegen einer eingeschränkten Mobilität auf einen menschenwürdigen Alltag verzichten. Wir Jugendverbände in Bayern sehen uns in der Verantwortung, unsere Mitglieder und Gruppen zu sensibilisieren, zu schulen und vor Ort zu unterstützen.
Wir fordern daher:
1 Vgl. Exilio e.V. Fluchtgründe: <link www.exilio.de/index.php%3Farticle_id%3D302 - external-link-new-window "Opens external link in new window">www.exilio.de/index.php%3Farticle_id%3D30</link>
2 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951.
3 <link www.unhcr.de/mandat/genfer-fluechtlingskonvention.html - external-link-new-window "Opens external link in new window">www.unhcr.de/mandat/genfer-fluechtlingskonvention.html</link>
4 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft. Initiative des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz für eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung, 28.02.2014, Nr. 10, S. 56.
5 <link www.wikipedia.org/wiki/Verordnung_(EG)_Nr._343/2003_(Dublin_II) - external-link-new-window "Opens external link in new window">www.wikipedia.org/wiki/Verordnung_(EG)_Nr._343/2003_(Dublin_II)</link>
6 European Agency for the Management of Operational Cooperation at the External Borders of the Member States of the European Union
7 Die Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 ist seit dem 1. Januar 2014 anzuwenden. Sie regelt, dass Schutzsuchende innerhalb der Europäischen Union nur einmal Asyl beantragen und ihr Aufnahmeland nicht frei wählen können. Die Anwendung dieser Bestimmungen führte zu sogenannten „Verschiebebahnhof EU“, d.h., dass Asylbeantragende in andere EU-Staaten verschoben werden, was oft mit einer Inhaftierung verbunden ist. Dublin-III sieht eine Abschiebehaft bei ungeklärter Identität, zur Beweissicherung im Asylverfahren, zur Prüfung des Einreiserechtes, bei verspäteter Asylantragsstellung oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, vor.
8 Beschluss vom 144. Hauptausschuss des Bayerischen Jugendrings vom 21. bis 23. März 2014 auf der Burg Feuerstein: Flüchtlinge brauchen Freunde!
9 Papst Franziskus in seiner Predigt auf Lampedusa am 8. Juli 2013
10 Vgl. hierzu die zehn Faktoren für die Beurteilung der Unterbringungssituation in Gemeinschaftsunterkünften; „Heim-TÜV“ Sachsen: 1. Unterbringung von Familien und Frauen, 2. Sicherheit, 3. Soziale Betreuung, 4. Frauen- und Familiengerechtigkeit, 5. Integration von Kindern, 6. Bildungsangebote, 7. Mitwirkungsmöglichkeiten, 8. Lage und Infrastruktur, 9. Zustand und Umfeld, 10. Gesellschaftliche Einbindung
Beschlossen vom 145. Hauptausschuss des Bayerischen Jugendrings vom 17. bis 19. Oktober 2014