Aber richtig! Wann sind Formate der Jugendpartizipation erfolgreich? Wenn sie Spaß machen und ernst gemeint sind.
Wann sind Formate der Jugendpartizipation erfolgreich? Wenn sie Spaß machen – und ernst gemeint sind: Jugendliche müssen tatsächlich etwas bewegen können, und dafür müssen Entscheider Teile ihrer Verantwortung abgeben. Doch wie kann Politik obendrein noch Spaß machen? Dafür gibt es vielfältige Beispiele
Text: Claudia Thiele
Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen wünscht sich mehr Mitsprache – in der Familie, in der Schule, aber auch in ihrem Wohnumfeld, in der Kommune, ja in ganz Deutschland. Und es gibt seit über 20 Jahren ein vielfältiges Repertoire an erprobten Formen und Methoden der Jugendbeteiligung. Auch an den Hochschulen gehört Partizipation mittlerweile zum selbstverständlichen Studieninhalt im Fach Soziale Arbeit. Man könnte demnach meinen, die Voraussetzungen für Jugendbeteiligung sind prima. Und doch sieht die Realität oft anders aus. Damit Jugendbeteiligung für Jugendliche attraktiv ist, muss sie für sie bedeutsam sein, aber auch Spaß machen.
Die meisten Jugendlichen sind stark eingespannt in Schule oder Ausbildung und haben wenig Zeit und Freiräume. Zugleich gehört zu den Kernherausforderungen des Jugendalters, sich zu verselbstständigen und zu positionieren. Es geht darum, mehr und mehr Verantwortung zu übernehmen und in die Gesellschaft nicht nur hineinzuwachsen, sondern sie auch (mit) zu gestalten. Für Jugendliche ist es daher entscheidend, ob Partizipationsangebote ernst gemeint und wirkungsvoll sind. Haben sie tatsächlich etwas zu melden?
Wer Jugendliche für Beteiligung gewinnen will, sollte klar benennen können, was mit ihren Anliegen und Vorschlägen passiert. Zudem braucht es belastbare Zusagen, dass die Ergebnisse Folgen haben. Je umfangreicher oder kontroverser ein Projekt ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Vorschläge der Jugendliche eins zu eins umgesetzt werden. Wenn am Ende auch Kompromisse stehen – für die Jugendlichen muss erkennbar sein, dass sie realistische Chancen haben, ihre Lebenswelt zu verbessern.
Bei echter Jugendbeteiligung geht es im Kern um die Übertragung von Entscheidungs- und Gestaltungsmacht. Jugendarbeiter_innen, Politiker_innen oder andere Entscheidungsträger_innen treten einen Teil ihrer Verantwortung ab und sind bereit, Entscheidungen mit Jugendlichen zu teilen. Das ist gar nicht so einfach, vor allem wenn die Strukturen hierarchisch sind und Jugendbeteiligung Zuständigkeiten und die interne Machtbalance berührt.
Mit der Partizipationsleiter, die Roger Hart 1992 für Kinder- und Jugendbeteiligung entwickelt hat, lassen sich Beteiligungsformen von Formen der Nicht-Beteiligung wie Manipulation oder Alibi- Teilnahme abgrenzen. Sie ist ein gutes Instrument, um zu hinterfragen, ob Jugendliche nur Ideen liefern und die Entscheidungen dann von Erwachsenen getroffen werden. Von der Ideensammlung oder dem Meinungsbild ist es oft ja nur ein kleiner, entscheidender Schritt zur echten Mitsprache, der aber rechtzeitig organisiert werden muss.
Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit sind die eine Seite der Jugendbeteiligung. Klare Entscheidungsspielräume, Transparenz, ausreichende Ressourcen und zeitnahe Umsetzung bilden dafür wichtige Prüfsteine. Die andere Seite ist der Spaß. Damit Jugendliche sich freiwillig auf Beteiligungsprozesse einlassen, sind Settings und Methoden gefragt, die auf ihre Interessen und Bedürfnisse zugeschnitten sind. Dazu gehört, dass die Orte gut erreichbar, jugendgerecht und gemütlich sind, die Zeiten passen und es möglichst zu essen und trinken gibt. Für die meisten Jugendlichen ist es auch wichtig, dass sie vor Ort jemanden zum Andocken haben, Freunde oder vertraute Erwachsene.
Das Sahnehäubchen sind besondere Möglichkeiten, zum Beispiel neue Technologien wie VR-Brille oder 3-D-Drucker auszuprobieren, besondere Persönlichkeiten zu treffen, Presseauftritte zu haben oder sich kreativ zu betätigen, mit Siebdruck, Graffiti oder Batik, im Tonstudio und so weiter. Beteiligungsangebote werden auch durch die Aussicht attraktiv, neue Kompetenzen zu erwerben, etwa Interviews zu führen oder Gruppendiskussionen zu moderieren.
Zur Jugendbeteiligung gehören heute auch die Ansprache über Social Media und der Einsatz digitaler Tools. So können mit geringen Ressourcen viele Jugendliche aktiviert werden. Vor allem Umfrage-Tools, die Meinungen und Ideen abfragen, wie „Mentimeter“, „Answergarden“ oder eine Web-basierte App, mit der sich in Kassel Jugendliche an einem Mobilitätskonzept beteiligt haben, lassen sich gut in Partizipationsprozesse einbauen. Eine gute Übersicht und Tipps liefert die Plattform www.jugend.beteiligen.jetzt.de.
Auch Abstimmungen sind online einfach zu organisieren. Komplizierter wird es, wenn es darum geht, Argumente abzuwägen, sich auszutauschen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Dafür gibt es zwar auch Tools, aber die Face-to-face-Kommunikation ist da schwer zu toppen. Und so wird die digitale Beteiligung die analoge nicht so schnell ablösen, aber an vielen Stellen im Sinne einer „blended participation“ sinnvoll ergänzen.
Interessante Themen, coole Methoden und Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, können Jugendliche für Partizipation begeistern. Jugendbeteiligung basiert zudem wesentlich auf den Beziehungen zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen, die sie zur Beteiligung ermutigen und begleiten. Fehlen solche Ansprechpartner_innen, ist angesichts der oft mühsamen Prozesse schnell die Luft raus. Sie ebnen die Wege zu den Entscheidungsträger_innen, sorgen für Rückmeldungen und fördern mit gemeinsamen Aktionen und Projekten den Zusammenhalt unter den Jugendlichen. Vor allem aber tanken Jugendliche bei ihnen das Vertrauen, dass sich das eigene Engagement lohnt.
Viele Partizipationsprojekte berücksichtigen diese Kriterien – und verlaufen entsprechend erfolgreich: Das „Laut!“-Projekt in Nürnberg beispielsweise bietet den Jugendlichen verschiedene Kanäle, sich zu beteiligen, und hat mit „Laut!Cash“ einen unbürokratischen Jugendfonds für selbstorganisierte Projekte (laut-nuernberg.de). Jugendliche aus dem Landkreis Rosenheim können bei „#myvision“ Partizipation und Party verbinden. Alle zwei Jahre findet dort eine dreitägige Jugendkonferenz statt, bei der rund 100 Jugendliche ihre Themen bearbeiten, an Kreativund Bewegungsworkshops teilnehmen – und Party machen (jugendbeteiligungmyvision.de). In Pullach haben Jugendliche mit Unterstützung des Jugendtreffs „freiraum2“ ihr Jugendparlament wiederbelebt. Ausgestattet mit Rede- und Antragsrechtkönnen sich die Jugendlichen im Gemeinderat einmischen, und sie verfügen über ein eigenes Budget. Mittlerweile haben sie für ihre Sitzungen sogar einen Schlüssel für das Pullacher Rathaus.
Ein weiteres Best-practice-Beispiel ist die Planbude in Hamburg. Sie eröffnete dort, wo früher die Esso-Häuser standen. Bürgerprotest führte dazu, dass die Nachbarschaft ihre Ideen in die Planungen zur Neubebauung einbringen konnte, und dabei kamen auch Jugendliche zum Zug. Wenn alles wird, wie jetzt geplant, können Jugendliche später an der Fassade klettern und auf dem Dach skaten (planbude.de).
Ein neues Modell zur kommunalen Jugendbeteiligung wurde in Baden-Württemberg entwickelt: der 8er-Rat. Alle Achtklässler_innen unterschiedlicher Schularten erarbeiten gemeinsam Vorschläge für die Kommunalpolitik. Der 8er-Rat setzt auf die Zusammenarbeit mit Schulen und erreicht dadurch eine hohe Repräsentativität. Auch wenn es nicht ganz einfach ist, alle Schüler_innen zur aktiven Teilnahme zu bewegen, hat der Ansatz Potenzial, wie das Modellprojekt in Freiburg zeigt (8errat-freiburg.de).
Wie die Begegnung von Jugendlichen und Politiker_innen lebendig inszeniert werden kann, zeigt ein Format aus Siegen. Das Jugendzentrum Blue Box lädt dort im Wahlkampf zum Kochduell ein. Während die Kandidat_innen der verschiedenen Parteien dem jugendlichen Publikum Rede und Antwort stehen, sollen sie gleichzeitig ein Menü zubereiten – ausschließlich mit Zutaten in der Farbe ihrer Partei. Bei den Roten sind das Tomaten, Paprika und mehr, bei den Grünen ist es viel Gemüse. Bei den Schwarzen gibt es wenig mehr als Kaviar, Pumpernickel oder Oliven. Die Diskussionsveranstaltung ist so alles andere als langweilig und am Ende gibt’s noch was zu essen.
Es gibt also viele tolle Projekte – doch diverse Studien belegen, dass Jugendbeteiligung in Deutschland immer noch eine erhebliche Schlagseite zugunsten Jugendlicher aus sozial bessergestellten, bildungsorientierten Milieus hat. In Zukunft muss verstärkt dafür gesorgt werden, dass Jugendbeteiligung für alle Jugendlichen zugänglich wird. Damit ist nicht gemeint, dass alle Jugendlichen gleichzeitig für ein Beteiligungsformat gewonnen werden. Vielmehr sollte man gezielt verschiedene Gruppen von Jugendlichen in den Blick nehmen und unterschiedliche Zugänge konzipieren, zum Beispiel für ethnische Gruppen, für Jugendliche mit Behinderung, Jugendliche ohne Schulabschluss oder andere, die leicht übersehen werden.
Hier ist es wichtig, auf die Zielgruppen zuzugehen und im direkten Kontakt oder durch Multiplikator_innen, die mit ihnen arbeiten, ihre Lebenswelt kennenzulernen und herauszufinden, wie sie leben und was sie bewegt. Damit tatsächlich die Themen, die für sie wichtig sind, aufgegriffen werden, sollte die Zielgruppe möglichst schon an den Planungen beteiligt werden. So lassen sich die geeigneten Formate, Events und Methoden finden, die ihnen Spaß machen und ermöglichen, ihre Anliegen zu formulieren und sich für ihre Interessen einzusetzen. Die Angebote werden dann oft weit weniger „verkopft“ und stark erlebnisorientiert ausfallen, mit Musik, Bewegung, Action. Jugendbeteiligung verträgt viele Ausdrucksformen, auch Rap, Torwandschießen und Breakdance.
Claudia Thiele ist Trainerin, Beraterin und Prozessmoderatorin und unterstützt bei (fast) allem, wenn es um Mitsprache von Kindern und Jugendlichen geht.