Ein blondes Mädchen in einer rot-geblümten Jacke schaut traurig in die Kamera.

„Spielen ist im wahrsten Sinn des Wortes notwendig“

Interview des Bayerischen Jugendrings mit Severin Schwarzhuber, der als Sozialpädagoge geflüchtete Kinder und Jugendliche betreut.

Severin Schwarzhuber, Kreisjugendring München-Stadt steht vor einem blauen Hintergrund und lächelt.

Du arbeitest mit Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine, die in Messehallen in München-Riem untergebracht sind. Wie muss man sich Deine Tätigkeit vorstellen?

Hier in Riem sind aktuell* 1500 bis 1600 Menschen untergebracht. Die Mehrheit davon ist minderjährig. In den Messehallen stehen Feldbetten, die Bereiche sind mit Stoffwänden unterteilt, pro Einheit etwa 20 Betten. Zwischen den Hallen haben verschiedene Betreuer und Träger Beschäftigungs- und Spielstationen aufgebaut, wo die Kinder und Jugendlichen von 13.00 bis 18.00 Uhr hinkommen können. So auch wir vom Kreisjugendring. Natürlich sind auch Begleitpersonen und sehr kleine Kinder willkommen. Altersmäßig geht das momentan vom Baby bis 18.

Wie finden die Kinder Dich auf dem riesigen Messegelände?

Das ist überhaupt kein Problem. Sie sehen uns, kommen, spielen und erwarten uns dann am nächsten Tag schon freudig, wenn wir um 13.00 Uhr starten. Wir stehen in einem Innenhof mit unserem Veranstaltungsmobil und haben Zelte und Tischgarnituren rausgestellt, das hat sich in Windeseile herumgesprochen. Das Bedürfnis der Kinder, sich zu beschäftigen, sich zu bewegen, kommt sehr deutlich rüber. Es ist im wahrsten Sinn des Wortes notwendig.

In welcher Situation sind die Familien genau, wenn sie in Riem untergebracht werden?

Die Messe Riem ist für die geflüchteten Menschen die erste Station, nachdem sie am Münchner Hauptbahnhof angekommen und registriert worden sind. Theoretisch sollen sie nur einmal oder zweimal in Riem übernachten und dann in eine Unterkunft ziehen, wo sie mehr Privatsphäre und eine Bleibeperspektive haben. Praktisch sind die meisten für mehrere Tage hier, manche leider für auch Wochen. Für die Kinder ist das sehr problematisch, weil sie in den vollgestellten Hallen kaum Beschäftigung haben.

Wie kommunizierst Du mit den Kindern? Sprichst Du oder sprechen andere Ukrainisch oder Russisch?

Wir kommunizieren mit Händen und Füßen. Das funktioniert in der Regel sehr gut. Wir haben vor allem Bälle, andere Bewegungsspiele und Malsachen dabei. Dinge, die sich selbst erklären oder die im Spiel erkundet werden können. Leider spreche ich kein Ukrainisch oder Russisch, das gilt für die meisten Haupt- und Ehrenamtlichen hier. Aber das empfinde ich nicht als Problem. Wie gesagt: Die Kinder und Jugendlichen haben ein enormes Bedürfnis, hierher zu kommen, zu spielen und sich auszutoben. Die sind kaum zu bremsen in ihrer Energie, bauen mit uns zusammen auf und ab und sind aufnahmebereit wie ein Schwamm.

Merkt man ihnen denn gar nicht an, dass sie vor einem Krieg geflohen sind? Dass sie Väter, Großeltern, Freunde zurückgelassen haben?

Hier im offenen Angebot sind wir mit Kindern und Jugendlichen konfrontiert, die aus eigenem Antrieb zu uns kommen, mit ihren Müttern, mit älteren Geschwistern, aber oft auch allein. In der Regel erleben wir die Kinder als fröhlich und lebhaft. Wie gesagt: Das Bedürfnis nach Beschäftigung und Bewegung ist enorm. Wenn wir sehen, dass sich ein Kind oder ein Jugendlicher im negativen Sinn auffällig verhält, eine psychische Not erkennen lässt oder Ähnliches, sind Ansprechpartner vom Jugendamt München vor Ort, an die wir uns wenden können. Auch die „Frühen Hilfen“ sind vor Ort. Auffangen oder gar therapieren können wir traumatisierte Kinder und Jugendliche nicht. Nicht in diesem Rahmen. Ich habe trotzdem den Eindruck, dass wir mit unserer Arbeit etwas Wichtiges leisten.

Was würdest Du Menschen raten, die etwas für geflüchtete Kinder und Jugendliche auf die Beine stellen wollen, aber noch keine Erfahrung damit haben und unsicher sind?

Für die Jugendarbeit ist es erstmal wichtig, keine Berührungsängste zu haben. Nehmt Kontakt zu Unterkünften auf und schaut, was ihr anbieten könnt, denn die Leute vor Ort haben meistens nicht die Kapazitäten, um Freizeitbeschäftigungen anzubieten und freuen sich über jede Unterstützung. Plant Angebote, die einfach, niedrigschwellig und unverbindlich sind. Vielleicht kann man eine Begleitung von der Unterkunft in Freizeitstätten organisieren oder besser noch vor Ort eine Aktion durchführen.

*Das Interview fand Ende April 2022 statt.