Die Ausgabe 2.23 der Zeitschrift juna liegt aufgeklappt da. Auf dem Cover ist eine gezeichnete Person, die versucht, mit dem Wahlzettel die zu hohe Wahlurne zu erreichen.

juna #2.23 Landtagswahl

Keine Wahl – Bei der bayerischen Landtagswahl sind unter 18-Jährige nicht dabei. Das muss sich ändern.

Zwei Personen (mit Rock und mit Hose) sind über Kreuz gezeichnet in einem Kreis wie ein Kreuz auf einem Wahlzettel.

Mit zweierlei Maß

Im Oktober findet die bayerische Landtagswahl statt. Allerdings ohne junge Menschen unter 18 Jahren: Sie sind von der Wahl ausgeschlossen – anders als in Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Was ist davon zu halten?

Prof. Dr. Thorsten Faas hat zu Fragen des Wahlalters geforscht – und berichtet in der juna von seinen Erkenntnissen

Interview von Dominik Petzold

Ein blauer Wahlzettel, bei dem 6 von 7 Kreuzen rot angekreuzt sind.

Professor Faas, ab welchem Alter sollten Menschen wählen dürfen?

Das ist eine schwierige Frage. Dass die Antwort nicht ganz einfach und eindeutig ist, merkt man daran, dass es in der Praxis unterschiedliche Antworten auf diese Frage gibt. Das Wahlalter ist ja im Laufe der Zeit mehrfach geändert und dabei gesenkt worden, zudem unterscheiden sich Bundesländer auch heute mit Blick auf das Mindestwahlalter. Wahlsystemfragen und damit auch Wahlaltersfragen sind normative Fragen, aber eben auch Machtfragen.

Welche Erfahrungen hat man in Bundesländern gemacht, in denen Jugendliche schon mit 16 wählen dürfen – mit Blick auf deren politisches Wissen und Interesse?

Zunächst einmal könnte man infrage stellen, ob Ihre Frage überhaupt relevant ist: Einen Erwachsenen würde man nie fragen, ob er sich eigentlich genug für Politik interessiert oder genug darüber weiß, um wählen zu dürfen. Aber bei jungen Menschen kommt diese Frage doch sehr regelmäßig: Sind sie eigentlich „reif“ genug? Und weil diese Frage immer kommt, haben Arndt Leininger und ich uns gedacht, dass wir dazu mal Studien machen sollten. In zwei von der Otto Brenner Stiftung finanzierten Studien haben wir geschaut, ob sich Interesse und Wissen bei 15-, 16-, 17-, 18-, 19-, 20-Jährigen unterscheiden. Das haben wir sowohl in Bundesländern mit Wahlalter 16 als auch 18 getan. Und im Ergebnis haben wir praktisch keine Unterschiede gefunden: Interesse und Wissen waren stabil, unabhängig von Alter und Bundesland. Man könnte also sagen: Das Argument mit der mangelnden Reife ist nicht nur fragwürdig – es stimmt nicht einmal.

Welche Erfahrungen hat man in anderen Ländern Europas gemacht?

Auch da sehen wir Vielfalt, aber auch einen Trend zu Absenkungen des Wahlalters. Die meisten Erfahrungen hat man in Österreich gesammelt, wo schon vor einiger Zeit das Wahlalter auf allen Ebenen auf 16 abgesenkt wurde. Das scheint auch dort nicht zum Zusammenbruch geführt zu haben – die dortigen Studien bestätigen übrigens auch unsere Befunde für Deutschland.

Der Anteil der älteren Wähler:innen wird immer größer. Sollte das bei der Entscheidung über das Wahlalter eine Rolle spielen?

Der demografische Wandel hat Folgen für die Zusammensetzung der Wähler:innenschaft, und eine Wahlalterssenkung würde dem entgegenwirken. Diese Tatsache würde ich nicht als entscheidenden Grund für eine Senkung ansehen – aber als willkommenen Nebeneffekt.

Inwiefern spielt mit Blick auf das Wahlalter die Lebenssituation der jungen Menschen eine Rolle, die erstmals wählen dürfen? Macht es einen Unterschied, ob sie noch zur Schule gehen und ob sie bei den Eltern leben oder nicht mehr?

Gerade in der wissenschaftlichen Debatte rund um das Wahlalter spielen solche Kontexteffekte eine wichtige Rolle. Mit 16 oder 17 lassen sich junge Menschen sicherlich besser und gezielter auf eine Wahl vorbereiten und auch zur Wahlbeteiligung motivieren als später. Wir sehen in unseren Studien auch, dass die Häufigkeit von Gesprächen mit Eltern und Freund:innen in diesem Alter durchaus ansteigt. Allerdings hat das auch eine Kehrseite, denn ein Wahlalter von 16 heißt ja nicht, dass auch jede:r mit 16 wählen darf, sondern vielleicht trotzdem noch länger warten muss, bis eine Wahl stattfindet. Und wenn man über positive Effekte gerade von Schule spricht, muss man auch sehen, wer mit 17 oder 18 noch in der Schule ist.

Würde eine Senkung des Wahlalters dazu führen, dass die Interessen junger Menschen von der Politik stärker berücksichtigt würden?

Eine Garantie ist das sicher nicht, dafür ist die Gruppe junger Menschen vielleicht zu klein. Aber umgekehrt kann man sagen: Eine Gruppe ohne Wahlrecht hat es immer schwerer, Gehör zu finden, als eine Gruppe mit Wahlrecht.

Gibt es Argumente für das Wahlrecht ab 18?

Prominent ist natürlich das Argument, dass das Wahlrecht an die Volljährigkeit geknüpft sein sollte. Das kann man ja sogar so sehen und als schlüssiger empfinden als andere Grenzen. Nur gibt es sehr viele Altersgrenzen – hinsichtlich Religionsfreiheit, Strafmündigkeit, Alkoholkonsum und -werbung –, sodass immer jede Seite in der Debatte etwas findet, das für 16 oder 18 (oder 14 oder 21) spricht. Letztlich hilft das also auch nicht weiter. Und zudem hat es nichts mit der politischen Realität zu tun. Wir haben in Deutschland auf kommunaler, Länder- und auch nationaler Ebene Wahlen ab 16 und Wahlen ab 18. Bei der Europawahl 2024 wird erstmals auf nationaler Ebene ein Wahlalter von 16 Jahren gelten. Diese Unterschiedlichkeit selbst sollte man auch im Blick behalten. Sie produziert nämlich sehr seltsame, für junge Menschen irritierende Muster. Warum etwa werden 16- und 17-Jährige im Frühjahr 2024 an der Europawahl teilnehmen, aber nur an manchen, aber eben nicht allen zeitgleich stattfindenden Kommunalwahlen? Wie erklärt man das den Betroffenen? Sie ärgern sich darüber – auch das haben wir in unseren Studien zeigen können. Und dass Menschen rund um ihre ersten Wahlerfahrungen herum Frust, Ärger, Unfairness empfinden, kann niemand wollen.

Der Interviewte

juna-Autor, Bernd Faas, vor einem runden Hintergrund
Prof. Dr. Thorsten Faas
Prof. Dr. Thorsten Faas, Jahrgang 1975, ist Politikwissenschaftler. Er studierte an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und begann dort seine Karriere als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Seit 2017 ist er Professor für „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der FU Berlin. Gemeinsam mit Arndt Leininger forscht er zur Frage des Wahlalters, zuletzt erschien „Mehr Wählen wagen? Ungleichheiten beim ,Wählen ab 16‘ und ihre Folgen“. Die Studie steht zum Download unter www.otto-brenner-stiftung.de/mehr-waehlen-wagen

Ansprechperson

Karin Fleissner
Referentin Öffentlichkeitsarbeit für Projekte