19.10.2008

Jedem Kind seine Chance. Für eine bessere und gerechtere Schule in Bayern

Der Bayerische Jugendring beteiligt sich aufgrund seines Satzungsauftrages an der öffentlichen Debatte um die zukünftige Gestaltung des Bayerischen Schulwesens, so geschehen zum Beispiel mit mehreren Beschlüssen des Hauptausschusses seit 2001, zuletzt mit dem Beschluss „Bildungsperspektiven für benachteiligte und schulschwächere Kinder und Jugendliche“ im März 2008.

1. Einleitung

Als Vertretung von Kindern und Jugendlichen bringt sich der Bayerische Jugendring mit der vorliegenden Position in die Bildungsdiskussion aktuell wieder ein und stellt sich der Auseinandersetzung1. Er hebt dabei solche Themen hervor, die auf Anliegen der Kinder und Jugendlichen verweisen bzw. als Ausdruck ihrer Bedürfnisse und Interessen vor dem Hintergrund ihrer Lebenssituation verstanden werden. Wohl wissend, dass mit dieser Blickrichtung nicht alle Facetten der Thematik umfassend und ausgewogen abgehandelt werden, beschränkt sich die vorliegende Position ganz bewusst auf nach diesen Gesichtspunkten ausgewählte Schwerpunkte, damit diese bei den anstehenden Entscheidungen nicht übersehen werden.

2. Schwerpunkte

2.1 Bildung und Schule wird immer wichtiger – tief greifende und nachhaltige Reformen sind erforderlich

Schule ist heute mehr denn je diejenige öffentliche Instanz, die sowohl für eine erfolgreiche individuelle Lebensführung als auch für eine wissensbasierte Weiterentwicklung der Gesellschaft im globalen Wettbewerb unverzichtbar geworden ist.

Für Kinder und Jugendliche und ihre Eltern erfüllt Schule zusätzlich aber auch die Funktion eines sozialen Ortes, und diese Bedeutung wird zukünftig immer wichtiger, z. B. als:

  • Treffpunkt von Gleichaltrigen und Freunden,
  • Ort und Gelegenheit der Freizeitgestaltung, 
  • Betreuungsform im Anschluss an die Unterrichtszeit, 
  • Anlaufstation für Eltern, 
  • Identifikationspunkt im Gemeinwesen.

Gerade aufgrund dieser steigenden sozialen Bedeutung stellt sich für Schule die wesentliche Herausforderung, zum sozialen Ausgleich bzw. zum Abbau von sozialer Ungerechtigkeit selbst aktiv beizutragen. Die Vermittlung formaler Bildung mit der Möglichkeit qualifizierende Schulabschlüsse zu erlangen ist vor diesem Hintergrund zwar weiterhin die wichtigste Funktion der Schule. Sie ist aber längst nicht mehr allein ausreichend, um Kinder und Jugendliche gut auf ihr Leben vorzubereiten und die gesellschaftlich erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen zu vermitteln. Eine Zukunftsaufgabe der Schule wird es daher sein, wesentlich stärker als bisher die Aufmerksamkeit auf die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen Schüler/-innen zu legen und diese so umfangreich wie möglich zu fördern. „Unbeschadet der individuellen Begabung und der familiären bzw. sozialen Rahmenbedingungen müssen jedem Schulkind möglichst viele Erfolgserlebnisse eigener Leistung als Voraussetzung für Motivation und Zuversicht in die künftige selbständige Lebensführung ermöglicht werden.“2

Bestehende Schulstrukturen und Schulformen werden den zukünftigen Herausforderungen an Bildung und Erziehung nicht gerecht, wenn sie

  • sozio-ökonomisch bedingte ungleiche Startbedingungen der Schüler/-innen eher verfestigen als ausgleichen,
  • soziale und kulturelle Homogenität der Schulmilieus voraussetzen,
  • nicht das soziale Lernen in unterschiedlichen sozialen Zusammensetzungen herausfordern und unterstützen.

Jede Schulform muss mit ihren Lerninhalten, Methoden und Strukturen in der Lage sein, alle Schüler/-innen individuell zu fördern, um das vorhandene Potenzial bestmöglichst auszuschöpfen.

Ohne die Unterstützung der Leistungsfähigen und Begabten zu vernachlässigen, muss bei der Förderung von Kindern und Jugendlichen zukünftig das Hauptaugenmerk auf diejenigen gelegt werden, die ohne Schulabschluss oder mit einer gering qualifizierenden Ausbildung in ihren Chancen für eine selbstbestimmte Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe erheblich eingeschränkt sein werden. Entsprechende Maßnahmen, die spätestens bei Schulbeginn ergriffen werden müssen, sind nicht nur gesellschaftlich rentabel, sondern haben sich als wichtiger Beitrag zur Schaffung von Chancengleichheit erwiesen.3 Deshalb muss auch eine Ausgrenzung und Diskriminierung von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern durch eine unangemessene Verteilung auf unterschiedliche Schulformen vermieden werden.

Bildungspolitische Leitlinie muss es sein, mehr Zeit für gemeinsames Lernen trotz sozialer Unterschiede vorzusehen, Zeit und Unterstützung zum Ausgleich familiär bedingter Benachteiligungen zu gewähren sowie individuelle Kränkungen und Misserfolgsängste durch frühzeitige Zuweisungen in starre Schullaufbahnen zu verhindern. Denn Schule ist zwar „der zentrale Ort der gesellschaftlichen Chancenzuweisung und des Erwerbs aller für eine moderne, pluralistische und von kultureller Vielfalt geprägte Gesellschaft notwendigen Fähigkeiten“4. Es ist aber auch von „entscheidender Bedeutung, dass Bildungsprozesse im Jugendalter nicht auf die marktförmig nutzbaren, beruflich hilfreichen Wissensbestände und Kompetenzen reduziert werden.“5

Forderungen:
  • Weichen für eine tief greifende und nachhaltige Umgestaltung des Bildungssystems müssen jetzt gestellt werden, um die unverzichtbaren Verbesserungen einzuleiten.
  • Einzelmaßnahmen müssen auf ein Gesamtkonzept ausgerichtet werden, das abgestimmt auf alle Bereiche des Schul- und Bildungswesens entwickelt werden muss.
  • Erforderlich ist jetzt eine deutliche finanzpolitische Akzentsetzung im Staatshaushalt. Öffentliche Ausgaben für schulische und außerschulische Bildung als Investitionen, die sich in der Zukunft auszahlen, müssen sofort und mit mittelfristiger Perspektive steigen. Der Anteil der Bildungsausgaben am Gesamthaushalt muss erhöht werden.

2.2 Vielfalt als Chance

Der Umgang mit Unterschiedlichkeit und die Anerkennung von Vielfalt als Potential ist für eine plurale Gesellschaft unverzichtbar. Wirtschaftsunternehmen haben dies bereits erkannt. Sie qualifizieren ihr Personal, z. B. um unterschiedliche Lebensformen, kulturelle Orientierungen und damit zusammenhängend unterschiedliches Wissen und verschiedene Fähigkeiten von Mitarbeiter/-innen für das Unternehmensziel produktiv nutzen zu können.

Schule muss entsprechend eine neue Lern- und Förderkultur entwickeln, die auf die Heterogenität ihrer Schüler/-innen eingeht, die eine umfassende Persönlichkeitsbildung und nachhaltige Sozialerziehung anstrebt und sich dabei nicht nur auf die Lernschwierigkeiten beschränkt, sondern auch die Lebensprobleme der Kinder und Jugendlichen und vor allem ihre Fähigkeiten und Talente im Blick hat.

Anerkennung von Vielfalt und individueller Unterschiedlichkeit erfordert eine pädagogisch-methodische Umorientierung im Unterricht. Jedes Kind hat einen individuellen Förderbedarf unabhängig davon, ob Beeinträchtigungen oder besondere Begabungen vorliegen. Dieser Förderbedarf erstreckt sich auf alle Kompetenzbereiche, auf kognitive wie instrumentelle, auf soziale wie personale Kompetenzen6. In der Leistungsbemessung und -bewertung muss sich noch viel mehr die Erkenntnis und Praxis durchsetzen, dass individuelle Fortschritte und Lernprozesse auf der Grundlage individueller Förderpläne aussagekräftiger für die Stärken und Schwächen einer Person sein können als punktuelle Leistungsstandsmessungen nach standardisierten Verfahren. Zumindest stellen sie aber notwendige Ergänzungen dar, um schulische Bewertungen besser und gerechter werden zu lassen.

Mit einer generell stärkeren Individualisierung von Unterricht und Förderung geht einher, dass insbesondere Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund besser gefördert werden können. Denn auch sie benötigen in erster Linie eine Schule und ein Bildungssystem, das jedes einzelne Kind ernst nimmt und unbesehen seiner Herkunft anerkennt und umfassend fördert. Insbesondere erforderlich ist allerdings auch eine interkulturelle und antidiskriminierende Ausrichtung der Schule unter Einbeziehung der Eltern. Für Kinder und Eltern mit Migrationshintergrund ist elementar, dass sie eine Wertschätzung ihrer Mehrsprachigkeit erfahren, auch wenn das Ziel besonderer Sprachförderung, die Beherrschung der deutschen Sprache als Voraussetzung für Schul- und Berufserfolg zu erreichen, unstrittig ist.

Auch eine geschlechtsspezifische Förderung erweist sich immer dann als erfolgreich, wenn methodisch-inhaltlich auf die jeweilige Lebenssituation von Mädchen und Jungen reflektiert Bezug genommen wird und so pauschale Rollenzuschreibungen durchbrochen werden.

Der männliche Nachwuchs an den Universitäten, der sich für das Lehramt an Grundschulen einschreibt, ist viel zu gering. Lehrer sind an bayerischen Grundschulen unterrepräsentiert: derzeit unterrichten nur 14 Prozent Männer. An Gymnasien, Real- und Hauptschulen ist der Anteil noch nahezu ausgeglichen. Grundsätzlich gilt: Je jünger die Kinder, desto niedriger der Männeranteil. Der Lehrerberuf in der Grundschule muss für Frauen und Männer gleichermaßen attraktiv sein. Dazu gehören die Wertschätzung der Arbeit, vor allem aber eine angemessene Bezahlung und Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen und Männer.

Unverzichtbar für eine Verbesserung der individuellen Förderung ist allerdings eine deutliche Verbesserung der Lehrer/Schüler-Relation in allen Schularten sowie eine Erhöhung der anrechenbaren Vor- und Nachbereitungszeit im Rahmen der Lehrerarbeitszeit. Es geht aber auch darum, das Berufs- und Professionsverständnis der Lehrkräfte zu verändern. Erforderlich sind zukünftig nicht nur Kompetenzen, um Unterricht in Klassenstärke fachlich-didaktisch angemessen durchzuführen. Zunehmend sind gefragt die pädagogisch-diagnostische Begleitung individueller und gruppenbezogener Lehr-Lernprozesse, die Bereitstellung individueller Förderangebote sowie die Beratung bei Lern-, Entwicklungs- und Lebensproblemen.

Die überwiegende Mehrzahl von Studien und Erfahrungsberichten empfiehlt eine längere gemeinsame Schulzeit für alle Kinder, um sowohl Einzelnen eine längere Entwicklungszeit zu ermöglichen als auch den Übertrittsnotendruck für alle aus der dritten und vierten Jahrgangsstufe herauszunehmen.

Forderungen:
  • Reduzierung der tatsächlichen Klassenstärken auf maximal 20 Schüler/-innen mit analoger Reduzierung der Gruppengrößen im Fachunterricht
  • Erhöhung der anrechenbaren Vor- und Nachbereitungszeit der Lehrkräfte als eine Voraussetzung für individuelle Förderung
  • Nicht nur Frontalunterricht in Klassenstärke, sondern weiterer Ausbau und verstärkte Anwendung einer breiten Methodenvielfalt und darauf ausgerichtete regelmäßige Fortbildungen
  • Einführung bzw. Ausbau der an manchen Schularten bereits bewährten Intensivierungsstunden für alle Schularten
  • Umfassende, individuelle Förderangebote als kostenfreie Regelangebote der Schulen, um private Nachhilfe zu erübrigen
  • Raumnutzungskonzepte, die Individualisierung von Förderungen und Methodenvielfalt ermöglichen, bei Bedarf Schaffung entsprechender Raumangebote
  • Einführung von individuellen Wochen- und Monatsplänen zur individuellen Lernplangestaltung
  • Eine bessere und gerechtere Bewertung durch die Dokumentation individueller Lernprozesse und Lernfortschritte ergänzend in den Zeugnissen
  • Schaffung eines dauerhaften Einstellungskorridors, um Engpässe zu vermeiden für qualifizierte Lehrkräfte zur Gestaltung einer verlässlichen Personalentwicklung
  • Kontinuierliche Einsatzmöglichkeiten für multi-professionelle Teams (z.B. Lehrkräfte, Sozialpädagog/-innen, Psycholog/-innen) und Doppelbesetzung im Unterricht
  • Gezielte Anwerbung, Ausbildung und Einstellung von Lehrkräften und Sozialpädagog/-innen mit Migrationshintergrund
  • Verlegung der Schullaufbahnentscheidung in die sechste Jahrgangsstufe
  • Eine Erhöhung des Anteils männlicher Lehrkräfte in der Grundschule als Beitrag zur Identitätsbildung von (bei) Jungen

2.3 Intensive Begleitung bei der Berufsorientierung

Aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen spielt sich das „wirkliche Leben“ außerhalb der Schule ab, dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Berufs- und Arbeitswelt. Mit der Vorbereitung auf diesen „Ernst des Lebens“ werden die schulischen Maßnahmen, insbesondere Prüfungen und Abschlüsse begründet. Die moderne Arbeitswelt ist aber den meisten Schüler/-innen – häufig allerdings auch den Lehrkräften – in der Regel völlig unbekannt, nicht zuletzt deshalb, weil die unmittelbare Anschauung, die Begegnung mit Berufspraktikern und –praktikerinnen im Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen kaum möglich ist. Die Folgen sind hinlänglich bekannt: Trotz vielfältiger Berufsberatungsangebote ist das Berufswahlspektrum der Jugendlichen, der Mädchen wie der Jungen, seit Jahren im Wesentlichen unverändert. Vergleichbares gilt auch für die Studienfachwahl.

Berufswahl ist ein längerer Orientierungs- und Entscheidungsprozess im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung, der maßgeblich mit unmittelbar praktischer Erfahrung, persönlichem Erleben und der Begegnung mit erwachsenen Vorbildern und Kontaktpersonen sowie Gelegenheiten zur Herausbildung von Interessen in Verbindung steht. Das heißt, die regelmäßige Begegnung mit der Berufs- und Arbeitswelt einschließlich praktischer Erfahrungen muss in allen Jahrgangsstufen und allen Schularten altersangemessen zum Schulprogramm gehören. Eine stärkere Verbindung von schulischem Lernen und praktischer Anwendung ist insbesondere für benachteiligte Schüler/-innen förderlich und kann sie erfolgreich bei der Bewältigung des Übergangs in die Berufsausbildung unterstützen.

Forderungen:
  • Praktische Maßnahmen zur späteren Berufsfindung, wie Berufs- und Sozialpraktika, Hospitationen oder Exkursionen, die einen umfassenden und vertieften Einblick ermöglichen, sind jeweils altersentsprechend durchzuführen und gehören verpflichtend in den Unterricht jeder Jahrgangsstufe und jeder Schulform
  • Um das individuelle Berufswahlspektrum zu erweitern, muss Mädchen und Jungen ab der 5. Jahrgangsstufe die Begegnung mit entsprechenden beruflichen Vorbildern vermittelt werden.
  • Lehrkräfte benötigen einen umfassenden Einblick in die Arbeits-und Berufsfelder, auf die sie ihre Schüler/-innen vorbereiten. Hierzu sind regelmäßige Praktika und Hospitationen während des Studiums und der anschließenden Berufstätigkeit unabdingbar.
  • Für Schüler/-innen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf beim Übergang von der Schule ins Berufsleben sind zusätzliche Angebote bereit zu stellen. Eine frühzeitige Ausweitung praxisorientierter Unterrichtsformen, gezielte schulische und außerschulische Kooperationen mit Betrieben, Kooperationspartnern und Trägern der Jugendhilfe, sowie eine individuell notwendige Begleitung über die Regelschulzeit hinaus hat sich als zielführend erwiesen und sollte ausgebaut werden

2.4 Gute Ganztagsschulen flächendeckend für alle

Wir sind davon überzeugt, dass die zurzeit noch vorherrschende Vormittags-/Halbtagsschule auch in Bayern auf Dauer gesehen ein Auslaufmodell ist, soll tatsächlich mehr Bildungsqualität und Bildungsgerechtigkeit angestrebt werden. Deshalb muss die Ganztagsschule flächendeckend zu einer Angebotsform in allen Schularten und Schulstufen ausgebaut werden. Die Nachfrage von Seiten der Eltern und Kinder wird in dem Maße zunehmen, wie diese Schulform durch gute Qualität überzeugen kann. Eine Beschränkung dieser Schulform auf soziale Brennpunkte ist abzulehnen, weil dadurch dieses Schulkonzeptes in den Augen von vielen Eltern, Lehrkräften und Schüler/-innen diskriminiert und abgewertet wird.

Eine Schule, die auf die vielfältigen und steigenden Anforderungen an Erziehung, Bildung und Betreuung pädagogisch verantwortlich eingehen will, ist mittelfristig nur vorstellbar als Ganztagsschule. Ganztagsschulen bieten die Möglichkeiten, um grundsätzliche und weit reichende Veränderungen des Schul- und Bildungsangebotes umsetzen zu können. Allerdings darf nicht einfach der Vormittagsunterricht auf den Nachmittag ausgeweitet werden, denn nur gute Ganztagsschulen können tatsächlich zu mehr Bildungsqualität und mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen.

Gute Ganztagsschulen

  • verfolgen einen ganzheitlichen Bildungsansatz,
  • verändern die Unterrichtskultur,
  • verstärken Partizipation und Gestaltungsmöglichkeiten durch Angebote von Schüler/-innen für Schüler/-innen,
  • bieten Raum und Gelegenheit für individuelle fachliche Förderung und für die Erledigung der Hausaufgaben während der Schulzeit,
  • vermitteln das Lernen des Lernens aber auch soziales Lernen oder kulturelle Bildung,
  • stellen Verbindungen zum Freizeitbereich ihrer Schüler/-innen her und arbeiten kontinuierlich mit externen Partnern zusammen.
  • entwickeln eine gegenseitige Feedback-Kultur.
Forderungen:
  • Die bisher unterschiedlichen Formen der gebunden bzw. offenen Ganztagsschule sollen in ein kostenfreies Ganztagsschulangebot zusammengeführt werden.
  • Dieses Konzept muss individualisierte Lernformen und rhythmisierte Tagesabläufe vorsehen.
  • Ganztagsschulen müssen grundsätzlich vorsehen, dass Jugendarbeit an der Schule aktiv sein kann und Schüler/-innen sich in der Jugendarbeit außerhalb der Schule engagieren können.
  • Kooperationen mit außerschulischen Partnern auf der Grundlage von Gleichberechtigung und gegenseitiger Anerkennung müssen fester Bestandteil sein.
  • Multiprofessionelle Teams und die Schülervertretungen sollen bei der Entwicklung des Schulprogramms zusammenwirken.
  • Die Lernstrukturen sind so zu gestalten, dass Hausaufgaben entfallen. Übungs-, Wiederholungs- und Vertiefungsphasen sind in den täglichen Schulablauf integriert und beinhalten auch besondere Vorbereitungen für Schulaufgaben und Klausuren.
  • Ganztagsschulen müssen um 16.00 Uhr enden, Freitagnachmittag soll frei sein.
  • Das Mittagessen und gesunde Ernährung sind Bestandteil des pädagogischen Konzeptes der Ganztagsschule.
  • Mittelfristiges Ziel muss das kostenlose Mittagessen für alle sein. Kurzfristig muss sichergestellt sein, dass keine Schüler/-in aus Kostengründen davon ausgeschlossen wird.
  • Als wesentlich Beteiligte an der öffentlichen Verantwortung für Bildung, Erziehung und Betreuung sind die Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe gezielt zu unterstützen und zu fördern, um als verlässliche Partner von Ganztagsschulen vor Ort tätig werden zu können.

2.5 Partizipation und Demokratie an der Schule

Alle Schüler/-innen haben positive Erwartungen an Schule, sie wünschen sich insbesondere

  • Gemeinschaft, Zusammengehörigkeit, Vertrauen, Geborgenheit, Rückhalt zu erleben,
  • Freude am Lernen zu haben durch leistungsorientiertes und individuell gestaltetes Lernen,
  • Verantwortung zu bekommen,
  • angstfrei in der Schule leben zu können, (gewaltfreie, aktive Problemlösung, gerechte Behandlung ohne willkürliche Entscheidungen).

Geht das Schulleben auf diese Grundbedürfnisse ein, sind die Grundlagen für Partizipation und Demokratielernen gelegt. Ernst genommen werden, etwas bewirken können, Beteiligung, Identifikation mit und Verantwortung für die Schulgemeinschaft bedingen sich gegenseitig. Um Schule zu einem Ort des Demokratielernens zu machen, sind allerdings noch viele Schritte notwendig. Zunächst geht es darum, die gegebenen Möglichkeiten im Schulforum und in der Schülermitverantwortung tatsächlich wahrzunehmen und auszuschöpfen. Durch Beteiligung der Schüler/-innen an Entscheidungsprozessen und durch Wahrnehmung von Verantwortung lernen sie demokratische Verhaltensweisen. Diese realen Erfahrungen sind wichtig, um die im Unterricht vermittelte politische Bildung und Information in ihrer Tragweite zu untermauern und verstehen zu können.

Allerdings sollten Schüler/-innen nicht nur auf der Schulebene, sondern bereits im Klassenverband einbezogen werden. Entsprechende Stunden – wie die mittlerweile bewährten „Zeit-für-uns-Stunden“ – sollten in jedem Stundenplan vorgesehen sein. Unverzichtbar ist in diesem Zusammenhang eine offene und zielorientierte Anerkennungs- und Feedbackkultur unter allen Beteiligten. Aktive Schülermitverantwortung muss ausgestattet sein mit umfassenden Rechten und Pflichten. Dies darf jedoch kein Privileg der Gymnasien sein. Alle Schularten müssen bei der Ausgestaltung der Strukturen der Schüler/-innenvertretung gleich behandelt werden.

Nicht zuletzt können durch Engagement an der Schule, durch Übernahme von Verantwortung und die Wahrnehmung von Rechten der Schülermitverantwortung soziale und personale Kompetenzen vermittelt werden, die im Arbeitsleben in allen Berufsbereichen neben den Qualifikationen in den Kernfächern zunehmend an Bedeutung gewinnen. Deshalb sollten solche Dokumentations- und Nachweissysteme weiterentwickelt und verbreitet werden, die Aussagen über diese Fähigkeiten, soziale Kompetenzen sowie das Engagement von Schüler/-innen treffen und so die Schulnoten ergänzen bzw. relativieren.

Forderungen:
  • In allen Schularten und Schulstufen müssen der SMV die gleichen Rechte auf Schulungen und Seminare für ihre Aufgaben zugestanden werden.
  • Jede SMV braucht in ihrer Schule eigene und geeignete Räumlichkeiten mit geeigneter Sachausstattung.
  • Jeder SMV ist ein ausreichender Finanzetat in eigener Verfügung zur Erfüllung ihrer Aufgaben bereitzustellen, der den Anforderungen einer aktiven, zeitgemäßen, inhaltlichen Arbeit gerecht wird.
  • Jede SMV hat Anspruch auf verbindlich festgelegte Besprechungszeiten mit der Schulleitung und den Lehrkräften.
  • Jede SMV braucht einen zeitlichen Rahmen für ihre Arbeit, die im Stundenplan verankert sein muss.
  • Regelmäßige Schulkonferenzen, an denen die Schüler/-innen bzw. mindestens die Schüler/-innenvertretungen teilnehmen, um Vereinbarungen über die Gestaltung der Schule und des Schullebens zu treffen.
  • Die Maßnahmen und Projekte der schulübergreifenden Schülervertretungen auf kommunaler Ebene benötigen eigene Fördermittel.
  • Die Bezirksaussprachetagungen müssen zweimal jährlich zweitägig für alle Schularten durchgeführt werden, um einen Erfahrungsaustausch und Fortbildungen zu ermöglichen.
  • Der Landesschülerrat muss seine Geschäftsordnung und die Verwendung der zur Verfügung gestellten Finanzmittel in eigener Verantwortung gestalten können.

2.6 Die Einzelschule im Gemeinwesen stärken

Die Unterschiede in den Lebensverhältnissen von Kindern und Jugendlichen werden in den nächsten Jahren sicherlich noch weiter zunehmen. Schon heute sind die Bedingungen des Aufwachsens z. B. im wohlhabenden und zuzugsstarken Südbayern kaum mit denen in Flächenlandkreisen z. B. in Nord-Ostbayern zu vergleichen. Auch innerhalb der Städte weisen einzelne Stadtbezirke und Schulsprengel hinsichtlich ihrer Sozial-, Wirtschafts- und Siedlungsstruktur große Unterschiede auf, die sich zum Beispiel auf die Übertrittsquoten in die weiterführenden Schulen auswirken. Ein erheblicher Teil der Unterschiede zwischen den Schüler/-innen einer Jahrgangsstufe, insbesondere die Leistungsunterschiede, sind auf den kleinräumigen sozialen Kontext einer Schule zurückzuführen. Konzepte zum Umgang mit Heterogenität der Schüler/-innen und zur Verbesserung von Chancengerechtigkeit dürfen sich deshalb nicht auf den Unterricht und die Binnenaspekte der Schule begrenzen, sondern müssen sich dem sozialen Umfeld gegenüber öffnen und dieses mit einbeziehen.

Insgesamt müssen Schulen mehr Gestaltungs- und Entscheidungskompetenzen erhalten, um standortbezogene Schulprofile mit individueller Schwerpunktsetzung zu entwickeln. Die Zusammenarbeit zwischen Schulleitung, Lehrerschaft, Eltern und Schüler/-innen kann insbesondere unter dieser Voraussetzung gestärkt werden.

Nicht zu verkennen ist in diesem Zusammenhang die Situation der Schulen im ländlichen Raum. Wohnortnahe Schulen sind ein wichtiger Bestandteil der sozialen Infrastruktur und wichtiger Aspekt der Lebensqualität von Kindern, Jugendlichen und ihren Familie. Wesentlich ist hier auch eine ihren Bedürfnissen angepasste Organisation des Schulwegetransports. Gleichzeitig ist ein vielfältiges Schulangebot aufrechtzuerhalten, das wiederum eine bestimmte Mindestzahl von Kindern und Jugendlichen voraussetzt, die angesichts der demografischen Entwicklung und der Abwande-rung aus ländlichen Räumen aber nicht mehr überall gewährleistet ist. Eine ausschließlich zentrale Planung und Steuerung von Schulen kann diesen sehr unterschiedlichen regionalen Bedingungen und Bedürfnissen nicht mehr gerecht werden. Deshalb sind mehr Gestaltungskompetenzen zu den äußeren Schulformen, Kooperation und Integration zwischen Schulen und Schularten, Finanzierung und Ausstattung zu regionalisieren (z.B. auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte) und unter Beteiligung der jeweiligen Schulleitungen, Lehrkräfte bzw. der Eltern- und Schüler/-innenvertretungen auszugestalten.

Eine Stärkung der Autonomie der Einzelschule erhöht die Bereitschaft und die Möglichkeiten, sich gegenüber dem sozialen und lokalen Umfeld zu öffnen und insbesondere Kooperationspartner in die Gestaltung des Schulprogramms einzubeziehen. Die zukünftigen gesellschaftlichen Aufgaben von Bildung, Erziehung und Betreuung können und sollten Schulen und Lehrkräfte gemeinsam mit außerschulischen Partnern erfüllen. Insbesondere Ganztagsschulen müssen in diesem Sinne offene Schulen sein, die an der Einbeziehung und Gestaltung eines dichten sozialen Netzwerkes interessiert sind und mitwirken.

Die gemeinwesenorientierte Ausrichtung und Einbindung der Schulen im Zusammenwirken mit der Jugendhilfe, ihren Strukturen und Träger ist im Sinne einer lokalen Bildungslandschaft verstärkt voran zu treiben. Deshalb muss Kooperation mit außerschulischen Partnern, insbesondere mit der Jugendhilfe, als eine zukünftige Aufgabenstellung von Schulen in der Lehrerausbildung, insbesondere in der zweiten Ausbildungsphase, systematisch verankert werden.

Forderungen:
  •  Die Zuweisungen der Finanz- und Personalressourcen müssen die sehr unterschiedlichen sozialen Belastungsfaktoren des jeweiligen schulischen Umfelds berücksichtigen. Entsprechend geforderte Schulen brauchen höhere Stundenzuweisungen, bessere Ausstattungen und zusätzliche sozialpädagogische Fachkräfte.
  • Die Einzelschule (Schulleitung, Lehrkräfte, Schüler/-innenvertretung) braucht mehr Entscheidungskompetenz bei der Entwicklung und Gestaltung ihres Schulprofils einschließlich der Auswahl und Einstellung von Lehrkräften.
  • Insbesondere im ländlichen Raum muss der Spielraum zur Entwicklung neuer Schulformen ausgeweitet werden, um eine flächendeckende Versorgung weitgehend zu erhalten.
  • Die Beförderungsmöglichkeiten in der Fläche müssen dem Bedarf und den Erfordernissen der Schüler/-innen bzw. der Schule angepasst werden, nicht umgekehrt die schulischen Angebote an die Bus- und Bahnzeiten.
  • Die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule ist als ein wesentliches Element der sozialräumlichen Öffnung von Schulen strukturell besser zu verankern, in diesem Sinne soll diese Aufgabe nicht nur in der Ausbildung der Lehrkräfte insgesamt, sondern regelmäßig auch im Rahmen der Aus- und Fortbildung von Schulleitungen behandelt werden.
  • Mehr und bessere Bildung, Erziehung und Betreuung ist dauerhaft nur zu erreichen, wenn mehr schulisches wie außerschulisches Personal dafür zur Verfügung gestellt wird.
  • Voraussetzung für die Verstetigung der notwendigen Kooperation mit außerschulischen Partnern, insbesondere zur Einbeziehung multiprofessioneller Kompetenzen, ist die Ausweitung der Finanzierung der Fachkräfte.
  • Um die erforderliche Kontinuität zu gewährleisten, ist insbesondere bei außerschulischem Personal eine Finanzierungssicherheit, die über ein Schuljahr hinausgeht, dringend erfor-derlich.

3. Schul- und bildungspolitische Schwerpunkte der nächsten 5 Jahre

Reformen und Verbesserungen im Bildungswesen bringen erst mittelfristig und langfristig Erfolge. Die Entscheidungen für eine Umsteuerung auf Grundlage eines stimmigen Gesamtkonzeptes müssen heute getroffen und eingeleitet werden.

Zu diesen Grundlagen gehören:

  • Eine erhebliche Steigerung der öffentlichen Finanzierung des schulischen und außerschulischen Bildungsbereiches: Nur dann ist eine Steigerung von Bildungsqualität und Bildungsgerechtigkeit wirklich zu erreichen, nur so kann einer weiteren Privatisierung von Bildung, die sozial in höchstem Maße ungerecht ist, umfassend entgegen gewirkt werden.
  • Die flächendeckende Einführung von an Qualitätsstandards ausgerichteten Ganztagsschulen für alle Schüler/-innen: Die bisherigen Formen der gebunden und offenen Ganztagsschule sollen in ein Ganztagsschulkonzept zusammengeführt werden, das Schulen zu einem Teil eines sozialen Netzwerkes werden und daran mitwirken lässt.
  • Steigerung der Quantität und Qualität der an Schulen tätigen pädagogischen Fachkräfte: Veränderung des Aufgabenverständnisses und Tätigkeitsprofils der Lehrkräfte, insbesondere auch eine daran ausgerichtete Veränderung der Lehrer/-innenausbildung an allen Hochschulen sowie Einsatz von multiprofessionellen Teams
  • Systematische und strukturelle Verankerung der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe auf allen Ebenen,
  • Förderung der Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe, um als verlässliche Partner von Schulen tätig werden zu können,
  • Regionalisierung und Differenzierung von Schulentwicklung und Schulplanung: Stärkung der Autonomie und Entscheidungskompetenz der Einzelschule (Schulleitung, Lehrkräfte, Schülervertretung),
  • Gleichbehandlung aller Schularten bei der Ausgestaltung der Strukturen der Schüler/-innenvertretung,
  • eine Finanzierungsform des Mittagessens an Schulen, die keine Schüler/-innen ausgrenzt.
Fußnoten:

1 Um sich der Vielfalt der Argumente, Anliegen und Erfahrungen der an Schule und Bildung Beteiligten zu vergewissern, führte der Bayerische Jugendring am 22. Juli 2008 ein Anhörung mit Vertreter/-innen maßgeblicher Verbände und Interessengruppen durch. Teilgenommen haben: Bayer. Realschullehrerverband, Bayer. Philologenverband, ISB, Netzwerk bayer. Schülerinitiativen, Bayerische Staatsministerien für Unterricht und Kultus und für Arbeit und Soziales, Landes-Eltern-Vereinigung Gymnasium In Bayern, vbw-Vereinigung der Bayer. Wirtschaft, Bayerischer Elternverband, AG Ausländerbeiräte Bayern, GEW Bayern, BLLV, Prof. Pollak, Uni Pas-sau, Bezirksschülersprecherin Oberpfalz.
 2 Bayerischer Landtag, DS 15/10881, Bericht der Enquete-Kommission „Jung-Sein in Bayern – Zukunftsperspektiven für die kommen-den Generationen, S. 212
3 vgl. Bildung in Deutschland 2008, Autorengruppe Bildungsberichterstattung, Bielefeld, S. 214
4 Bayerischer Landtag, S. 209
5 Bayerischer Landtag, S. 214
6 Der 12 . Kinder- und Jugendbericht unterscheidet diese vier Kompetenzbereiche, um zu verdeutlichen, in welchem umfassenden Sinne ein ganzheitliches Bildungskonzept zur Weltaneignung zu verstehen ist.

Beschlossen vom 133. Hauptausschuss des Bayerischen Jugendrings vom 17.10. bis 19.10.2008

Patrick Wolf
er/ihm
Büroleiter und Queer-Beauftragter