19.03.2023

Nachhaltige Mobilität für junge Menschen

Die Delegierten der 162. BJR-Vollversammlung fordern im jugendpolitischen Positionspapier eine jugendgerechte Mobilität.

Jugendgerechte Mobilität

„Mobilität ist eine wichtige Voraussetzung für Inklusion, Selbstbestimmung, Emanzipation und Partizipation aller jungen Menschen. Die Möglichkeit, sich eigenständig fortbewegen zu können und dabei über Anlass, Ort, Zeit, und Verkehrsmittel selbst zu entscheiden, ist sowohl ein wichtiger Entwicklungsschritt, als auch die Voraussetzung für ihre gesellschaftliche Teilhabe. Alltagswege zur Schule, zum Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, Studium oder zu Freizeitaktivitäten, zum Treffen von Freund*innen und Familienmitgliedern sind hierbei ebenso von Bedeutung wie Reisen oder Wohnortwechsel.“ [1]

Die heutige moderne Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft ist ohne Mobilität[2] nicht vorstellbar. Der zügige Ortswechsel von Menschen und Gütern ist eine zivilisatorische Errungenschaft, die in vielerlei Hinsicht das Leben bereichern kann. Gleichzeitig entstehen durch Güter- und Personenverkehr erhebliche Umweltbelastungen, die einen wesentlichen Beitrag zum, vom Menschen verursachten, Klimawandel leisten. So war der Straßenverkehr verantwortlich für 26% aller CO2-Emissionen in der EU im Jahr 2019. Trotz besserer Motoren und Abgastechnik sowie die Verwendung neuer Kraftstoffe, die zur Verringerung des Schadstoffausstoßes beitragen, werden diese Einspareffekte durch die zunehmende Zahl hochmotorisierter Fahrzeuge mit hohem Kraftstoffverbrauch wieder mehr als aufgewogen, d.h. die CO2-Emissionen nehmen im Straßenverkehrssektor tendenziell zu.[3] Der Flugverkehr trägt zwar nur einen verhältnismäßig kleinen Teil an CO2-Emissionen bei, ist allerdings wegen anderer klimawirksamer Emissionen als sehr problematisch anzusehen.

Durch die fortschreitende Urbanisierung und den zunehmenden Individualverkehr entstehen im städtischen Bereich zunehmend hohe Verkehrsaufkommen auf engstem Raum. Laut Verkehrsprognose Bayern 2030 wird in Bayern die Verkehrsleistung, die wichtigste Kenngröße zur Bestimmung der Verkehrsentwicklung, insgesamt um 26,3 Prozent steigen. Das bedeutet ein Wachstum von 208,1 Milliarden Personenkilometer im Jahr 2010 auf 262,9 Milliarden Personenkilometer im Jahr 2030.[4] Stetig zunehmende Beförderungszahlen stellen den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) hier vor große Herausforderungen. Umgekehrt sorgt ein oft spärliches ÖPNV-Angebot auf dem Land dafür, dass Menschen weiterhin auf den eigenen PKW angewiesen sind.

Nachhaltige Mobilitätskonzepte sind nicht nur aus Umwelt- und Klimaschutzgründen notwendig, sie können auch einen Betrag leisten, Lärmbelastungen und Stress zu mindern und so die Rahmenbedingungen für ein gesundes Aufwachsen von jungen Menschen zu verbessern. Die Entwicklung hin zu einer nachhaltigeren Mobilität stellt auch die Jugendarbeit vor große Herausforderungen. Nicht immer liegen Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit verkehrstechnisch so günstig, dass die An- und Abreise ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln möglich ist. Darüber hinaus nehmen die Beförderungszeiten zwischen Wohnort, Schule, Ausbildungsplatz etc. zu. Insbesondere im ländlichen Raum ist Mobilität inzwischen häufig der Schlüsselfaktor und unbedingte Voraussetzung damit Jugendarbeit und ehrenamtliches Engagement überhaupt stattfinden kann.[5] Internationale Jugendbegegnungen sind mit vielen Partnerländern ohne Flugreisen in der Praxis nicht zu realisieren, der bloße Verzicht darauf kann an dieser Stelle nicht die einfache Antwort sein.

Das International Panel on Climate Change (IPCC)[6], hat 2022 in seinem 6. Sachstandsbericht betont, dass es nach wie vor möglich sei, die globale Erwärmung auf 1,5°C bis 2100 zu begrenzen. Dafür seien allerdings eine sofortige globale Trendwende sowie tiefgreifende Treibhausgas-Minderungen in allen Weltregionen und allen Sektoren nötig. Der Zielwert von 1,5 Grad Celsius wurde im Übereinkommen von Paris von 2015 als ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen 195 Staaten anlässlich der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen beschlossen.

Auf nationaler Ebene werden diese Zielvorgaben im Klimaschutzprogramm 2030 [7] der Bundesregierung gebündelt und für die einzelnen Sektoren operationalisiert. So ist für den Verkehrsbereich der Ausbau der Elektromobilität vorgesehen, eine Bepreisung der verkehrsbedingten CO2-Emissionen, zusätzliche Investitionen in das Schienennetz der Bahn, Ausbau des ÖPNV sowie die Reduktion der Mehrwertsteuer auf Bahnfahrten von 19 % auf 7 %.

Die Bayerische Staatsregierung hat sich gemäß der Regierungserklärung von Ministerpräsident Dr. Markus Söder „Klimaland Bayern“ [8] im Juli 2021 für den Verkehrssektor ebenfalls den Ausbau der Elektromobilität samt zugehöriger Infrastruktur vorgenommen, den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs durch die Reaktivierung alter Bahnstrecken sowie die Verbesserung der Radinfrastruktur.

Es ist davon auszugehen, dass der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehende Energiekrise in Europa, die Umsetzung der geplanten Klimaschutzmaßnahmen in allen Sektoren, und somit auch im Verkehrssektor, zumindest stark verzögern wird. Im energiepolitischen Spannungsfeld zwischen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz bestimmt der Aspekt der Versorgungssicherheit derzeit das politische Handeln. Knappheit von Energie/Energieträgern führt zu steigenden Preisen auch im Verkehrssektor, was auch unmittelbar Auswirkungen auf die Mobilität in der Jugendarbeit hat.

„Jugendgerechte Mobilität“ bedeutet, dass junge Menschen Verkehrsmittel eigenständig (auch ohne Führerschein) und nachhaltig, also möglichst klimaneutral, ressourcenschonend und ohne hohe Kosten nutzen können. Junge Menschen sind überwiegend Fußgänger:innen, Fahrradfahrer:innen und Nutzer:innen des ÖPNV, aus Altersgründen, aus Kostengründen und aus Klimaschutzgründen. Die Akteure in der Jugendarbeit benötigen darüber hinausgehend Mobilitätsmittel, um Teilnehmende und Material sicher an Veranstaltungsorte und wieder nach Hause zu bringen - an dieser Stelle sind auch die besonderen Anforderungen von Inklusion mitzudenken. Dabei sind die Voraussetzungen und Möglichkeiten, dies mit möglichst klimafreundlichen, jugendgerechten Verkehrsmitteln zu erreichen, in Bayern sehr unterschiedlich.

So sehr junge Menschen und die bayerische Jugendarbeit sich auch bemühen ihre Mobilität nachhaltig, jugend- und zukunftsgerecht zu gestalten - so sind sie darauf angewiesen, dass die Politik hierfür die Rahmenbedingungen schafft.

Forderungen[9]

Der ÖPNV muss flächendeckend ausgebaut werden. Dabei geht es auch darum, Wegekettenverknüpfungen verschiedener Verkehrsmittel sicherzustellen, attraktive Taktungen – sowohl in der Stadt als auch auf dem Land - anzubieten, sodass Umsteigezeiten minimiert werden und insbesondere im ländlichen Raum Mobilitätsstrukturen innovativ miteinander zu verknüpfen und die Möglichkeiten der Digitalisierung hierbei zu nutzen. Darüber hinaus müssen neue kostengünstige und praktikable Mobilitätskonzepte wie Rufbusse erprobt und angeboten werden. Um dem existenziellen Bedürfnis junger Menschen nach Mobilität gerecht werden zu können, fordern wir schnellstmöglich ein kostengünstiges, bayernweit gültiges „Jugendticket“ für alle jungen Menschen. Langfristiges Ziel muss ein kostenfreier öffentlicher Personennahverkehr sein. Die Aspekte Gleichwertigkeit, Multimodalität, Barrierefreiheit und Klimaverträglichkeit sind maßgeblich für den Ausbau des ÖPNV.

Der Ausbau des ÖPNV muss durch eine Fachkräfteoffensive begleitet sein, die mit besseren Arbeitsbedingungen attraktiver Bezahlung sicherstellt, dass die Verkehrswende in Bayern auch gelingen kann.

Bahnfahren muss attraktiver werden, in Deutschland und Europa. Das europäische Schienennetz muss zügig ausgebaut werden und die nationalen Anbieter von Schienenmobilität müssen attraktive Verbindungen und Ticketsysteme bereitstellen, damit Jugendgruppen Fernreisen in Deutschland und Europa auch mit der Bahn unternehmen können. Das heißt konkret, dass es entsprechende, leicht zugängliche Buchungsmöglichkeiten für Gruppenreisen gibt, bei denen mehr Personen unterwegs sind, als auf einem Bayernticket mitfahren dürfen und weniger als für einen Sonderzug nötig sind. Der Ausbau von Nachtzugverbindungen ist ein weiterer Punkt, mit dem internationale Jugendreisen klimafreundlich ermöglicht werden können.

Klimaneutraler Schienenverkehr muss gefördert und ausgebaut werden. Vor allem sollen Lücken im Oberleitungsnetz geschlossen sowie stillgelegte Bahnstrecken wieder belebt werden. Staatliche Subventionen sollen wirksamen Klimaschutz fördern und dürfen diesem nicht entgegenwirken. Wir fordern deshalb für alle Subventionen des Freistaats Bayern einen verbindlichen Klimacheck.

Die Innenstädte der Städte müssen autofrei werden. Bei der Stadtplanung müssen die Anliegen von Radfahrer:innen und Fußgänger:innen und die des ÖPNV Priorität vor den Anliegen der Autofahrer:innen haben, insbesondere im städtischen Wohnbereich. Die Infrastruktur für Rad- und Fußverkehr muss bayernweit stark und zeitnah ausgebaut werden.

In ländlichen Räumen müssen Versorgungsstrukturen und Angebote, von der Kinderbetreuung über Schule, Jugendtreffs und Vereinsräume bis hin zu täglichen Einkaufsmöglichkeiten erhalten und wiederhergestellt werden. Das Prinzip der Fußläufigkeit und regionalen Nahversorgung muss in Entscheidungsprozessen verstärkt durchgesetzt werden, da es entscheidend zur Lebensqualität beiträgt und Verkehr reduziert.

Der Aus- oder gar Neubau von Flughäfen in Bayern muss sofort beendet werden. Das Anbieten von Kurzstreckenflügen muss untersagt werden.

Einrichtungen der Jugendarbeit, also Jugendbildungsstätten, Jugendzentren, Jugendtreffs usw. müssen öffentlich erreichbar sein. Es muss gewährleistet sein, dass sie auch an Wochenenden und Feiertagen so an den ÖPNV angebunden sind, dass eine An- und Abreise mit einer Jugendgruppe an einem Sonntag sinnvoll möglich ist.

Das Bayerische Reisekostengesetz muss dahingehend geändert werden, dass eine An- und Abreise mit dem Fahrrad finanziell der Fahrt mit dem PkW gleichgestellt wird.

Auf Autobahnen muss ein generelles Tempolimit von 120km/h gelten um klimaschädliche Emissionen und Unfälle zu reduzieren.

Junge Menschen müssen auf allen Ebenen bei den Planungen angemessen mit einbezogen und direkt beteiligt werden.

Die bayerische Jugendarbeit fordert die Bayerische Staatsregierung auf, sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für diese Ziele einzusetzen.

[1] DBJR, Positionspapier: Junge Menschen bewegen - Eine nachhaltige Mobilitätswende für alle! 2020

[2] Der Begriff „Mobilität“ wird in diesem Papier verwendet als territoriale Mobilität, also die Bewegung von Personen im geographischen Raum und ist abzugrenzen von metaphorischen Verwendungen wie etwa „soziale Mobilität“

[3] Bundesamt für Statistik, https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Umwelt-Energie/CO2_Strassenverkehr.html (zuletzt aufgerufen am 05.09.2022)

[4] https://www.stmb.bayern.de/vum/handlungsfelder/verkehrsinfrastruktur/verkehrsentwicklung/index.php (zuletzt abgerufen am 06.09.2022

[5] vgl. Position des BJR: Nachhaltige Entwicklung in der Jugendarbeit, 2015

[6] Der Weltklimarat (Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen, IPCC) wurde 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) als zwischenstaatlicher Ausschuss ins Leben gerufen.

[7] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/massnahmenprogramm-klima-1679498 (zuletzt aufgerufen am 06.09.2022)

[8] https://www.bayern.de/klimaland-bayern/ (zuletzt abgerufen am 06.09.2022)

[9] Folgende Forderungen sind eine strukturierte Zusammenstellung und sprachlich überarbeitete Zusammenstellung aus dem Diskussionsvorschlag der LV AG des BJR, den Forderungen im beschlossenen Positionspapier des BJR „Klima- und Umweltschutz sind systemrelevant - sozial-ökologische Transformation jetzt!“ vom 20.03.2021 und aus der Position des DBJR „junge Menschen bewegen. eine nachhaltige Mobilitätswende für alle!“ vom 31.10.2020.

Patrick Wolf
er/ihm
Büroleiter und Queer-Beauftragter