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Reform des europäischen Asylsystems

In der EU wird eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) diskutiert. Auf dieser Seite finden sich alle Infos zur geplanten Reform.

Hintergrund

Über 108 Millionen Menschen sind aktuell weltweit auf der Flucht. Einige von ihnen suchen Zuflucht in Europa - 2022 wurden rund 966.000 Asylanträge (Erst- und Folgeanträge) in Ländern der EU gestellt, deutlich mehr als noch im Jahr zuvor. Hinzu kommen über vier Millionen Ukrainer:innen, die vor dem russischen Angriffskrieg Schutz in der EU gesucht haben.

Theoretisch ist nach der sogenannten Dublin-Verordnung vorgesehen, dass sich die Flüchtenden nach ihrer Ankunft in der EU dort registrieren und einen Asylantrag stellen, wo sie zuerst europäischen Boden betreten haben. Praktisch führt dies dazu, dass sich Länder an den EU-Außengrenzen unverhältnismäßig stark belastet fühlen und fehlende Solidarität anderer Mitgliedstaaten beklagen. Hinzu kommt, dass sich von Land zu Land unterscheidet, welchen Prozess die geflüchteten Menschen nach ihrer Ankunft in der EU durchlaufen müssen, wie hoch die Chancen stehen, dass ihr Asylgesuch anerkannt wird und wie mit ihnen umgegangen wird. Aus diesen Gründen wird in der EU seit Jahren über eine eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) diskutiert. Verhandlungen hierzu scheiterten bislang immer am Widerstand einzelner Länder.

Im September 2020 hat die EU-Kommission einen umfassenden Reformplan vorgelegt. Im April 2023 einigte sich das Europäische Parlament auf seine Position zu einem Reformplan. Am 8. Juni folgte dann auch die Einigung der EU-Innenminister:innen auf ihre Position diesbezüglich, zumindest zu einem Großteil der Punkte. Jetzt müssen die Gesetzesänderungen im Trilog zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und dem Europäischen Rat verhandelt werden, bevor sie endgültig beschlossen werden. Die EU will noch vor der Europawahl im Juni 2024 zu einer Entscheidung kommen.

Geplante Reformen

Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Reformen setzen vor allem darauf, die Zahlen der Ankommenden zu reduzieren. Menschen, die nicht vor Krieg oder politischer Verfolgung fliehen, sollen vor einem irregulären Betreten der EU abgeschreckt werden und leichter abgeschoben werden können. Im Kern geht es um folgende Maßnahmen:

  • Screening-Verfahren für alle Menschen, die irregulär eine EU-Außengrenze übertreten: Dabei soll der Gesundheitszustand und eine mögliche besondere Schutzbedürftigkeit geprüft werden (z.B. Behinderung, Schwangerschaft etc.). Außerdem werden biometrische Daten erfasst und die Identität überprüft. Zudem wird geprüft, ob die Menschen aus Ländern mit einer Asyl-Anerkennungsquote von unter 20% kommen. Das Screening-Verfahren soll im Regelfall maximal 5 Tage dauern. Während dieser Zeit können die Asylsuchenden an der Weiterreise gehindert werden.
  • Beschleunigte Grenzverfahren: Menschen aus sogenannten "sicheren Herkunftsstaaten" (mit einer Schutzquote von unter 20%) sollen innerhalb von maximal weiteren 12 Wochen (im Regelfall) ein beschleunigtes Asylverfahren durchlaufen. Auch hierbei sollen sie an der Weiterreise gehindert werden. Auch Personen ohne Identitätsdokumente oder solche, die bei der ersten Anhörung widersprüchliche Aussagen gemacht haben, müssen das Grenzverfahren durchlaufen. Im Grenzverfahren haben die Betroffenen nur eingeschränkt Zugang zu Rechtsmitteln gegen getroffene Entscheidungen. Das Grenzverfahren kann auch auf Menschen ausgeweitet werden, die über einen als sicher deklarierten Drittstaat gekommen sind. Wird der Asylantrag abgelehnt, folgt direkt ein Abschiebeverfahren, das weitere 12 Wochen dauern kann.
  • Ausweitung des Prinzips der "sicheren Drittstaaten": Staaten sollen einfacher als "sichere Drittstaaten" deklariert werden können. Z.B. soll auch die Abschiebung in ein Land ermöglicht werden, in dem nur Teile als sicher gelten. Wird festgestellt, dass eine Person über einen solchen "sicheren Drittstaat" eingereist ist, kann der Asylantrag als unbegründet abgelehnt werden, ohne im Detail geprüft zu werden. Die Person wird dann in dieses Land abgeschoben. Als "sichere Drittstaaten" werden im aktuellen Entwurf folgende Staaten genannt: Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro, Kosovo, Serbien und die Türkei.
  • Während des Screenings und des Grenzverfahrens soll die "Fiktion der Nicht-Einreise" gelten: Obwohl sie sich schon auf EU-Boden befinden, sollen Menschen als nicht eingereist gelten.
  • Neuer Solidaritätsmechanismus: Mitgliedstaaten werden verpflichtet, einen Beitrag zu leisten, z.B. indem sie Übernahmezusagen für Geflüchtete machen, Geld zahlen, Personal entsenden oder beim Kapazitätsaufbau helfen. Sie können dabei wählen, was genau sie tun möchten und müssen nicht zwingend geflüchtete Menschen aus anderen EU-Staaten aufnehmen.
  • Krisen-Mechanismus: Wenn unerwartet viele Menschen in einen EU-Mitgliedstaat zuwandern, soll er die Möglichkeit haben, Sonderregeln einzuführen. Dabei sollen ankommende Geflüchtete in einem beschleunigten Verfahren auf andere Mitgliedstaaten verteilt werden können, es können strengere Grenzkontrollen eingeführt werden und Geflüchtete länger für Screening und Asylverfahren in den Transitzonen festgehalten werden.

Kritik

Insbesondere Verbände und zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren die geplante Reform scharf. Die Hauptkritikpunkte sind folgende:

  • Möglichkeit der Inhaftierung: Das neue Asylverfahren baut insbesondere darauf auf, dass Einrichtungen an den EU-Außengrenzen errichtet werden und dort Geflüchtete ein Grenzverfahren durchlaufen. Das Grenzverfahren wird jedoch aufgrund der "Fiktion der Nicht-Einreise" (siehe unten) nur durch haftähnliche Bedingungen durchsetzbar sein, sodass Geflüchtete die Unterbringungen nur bedingt verlassen dürfen. Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre (bsp. Moria) wird befürchtet, dass in den Einrichtungen weitestgehend Rechtlosigkeit herrscht, Menschen in den Einrichtungen an ihrer Weiterreise gehindert werden und es keinen Rechtsschutz für die Geflüchtete geben wird. Der Ministerrat möchte die Grenzverfahren unter Inhaftierung der Betroffenen verpflichtend für alle Mitgliedsstaaten einführen, das EU-Parlament ist gegen eine solche Verpflichtung. Hier muss es noch zu einer Einigung kommen.
  • Alle begleiteten Schutzsuchenden ab 12 Jahre werden in den Camps untergebracht: In den Einrichtungen an den EU-Außengrenzen sollen alle begleiteten Schutzsuchenden ab 12 Jahren untergebracht werden. Kinderrechtsorganisationen prangern an, dass die Unterbringung unter haftähnlichen Bedingungen schwerwiegende Folgen für die Psyche der Kinder haben kann und das Recht auf Schutz vor Freiheitsentzug verletzt, das in Artikel 37 der UN-Kinderrechtskonvention festgehalten ist. Zudem wird befürchtet, dass unter den Bedingungen im Grenzverfahren keine psychosoziale Betreuung möglich ist und keine kindesfreundliche und sichere Umgebung geschaffen werden kann, die nötig ist, um insbesondere kindspezifische Fluchtgründe vorzutragen.
  • "Fiktion der Nicht-Einreise": Kritisiert wird, dass die »Fiktion der Nicht-Einreise«, die während der Screenings und Grenzverfahren gelten soll, absehbar zu Haft oder haftähnlicher Unterbringung führt. Denn bis im Schnellverfahren darüber entschieden wird, ob ein Asylantrag überhaupt zulässig ist, sollen Geflüchtete als »nicht eingereist« gelten, obwohl sie bereits auf EU-Territorium sind und einen Asylantrag stellen möchten. Wird festgestellt, dass sie beispielsweise über einen sogenannten "sicheren Drittstaat" eingereist sind, wird der Asylantrag inhaltlich nicht geprüft und es soll eine erleichterte Abschiebung möglich sein.
  • Ausweitung der „Sicheren Drittstaaten“: Wenn Geflüchtete zukünftig über einen sogenannten „sicheren Drittsaat“ in die EU einreisen oder Verbindungen zu einem solchen Staat bestehen, sollen laut Position des Ministerrats Anträge abgelehnt werden und die Geflüchteten dorthin mit dem Verweis zurückgeschickt werden, dass auch dort Schutz bestehe. In vielen Ländern außerhalb der EU ist dies jedoch nicht der Fall. So soll es auch ausreichend sein, wenn nur ein bestimmtes Gebiet in einem Land sicher ist, obwohl das restliche Gebiet des Landes nicht sicher ist. Zudem sollen die Kriterien für einen „sicheren Drittstaat“ aufgeweicht werden, sodass deutlich mehr Länder als sicher eingestuft werden. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass Menschen auf der Flucht durch einen solchen Staat gekommen sind und somit vereinfacht abgeschoben werden können. Viele Organisationen sehen darin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung.
  • Unklare Umsetzbarkeit: Im aktuellen Beschluss sind 30.000 Plätze in Einrichtungen für die Durchführung von Grenzverfahren vorgesehen. Hochgerechnet auf das Jahr könnten die Plätze für insgesamt 120.000 Personen reichen. 2022 waren es allein 300.000 Asyl-Erstantragsteller:innen, die aus einem Land mit einer Schutzquote von unter 20% kamen. Bedenkt man, dass rund die Hälfte der Asylantragsteller:innen in Deutschland 2022 keine Identitätsdokumete vorweisen konnten, wären das hochgerechnet auf die Antragstellenden in der EU 2022 noch einmal rund 400.000 Personen. Es wird daher befürchtet, dass die geplanten Kapazitäten bei weitem nicht für eine geordnete und menschenwürdige Unterbringung ausreichen.

Ansprechperson

Theresa Leppert
sie/ihr
Referentin für Europäische Jugendpolitik