22.10.2022

Gegen Ausbeutung und Menschenhandel – Schutz von Kindern und Jugendlichen auf der Flucht

Die 161. BJR-Vollversammlung beschließt Forderungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen auf der Flucht sowie zur Verhinderung von Menschenhandel und Ausbeutung.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat seit dem 24. Februar 2022 fast ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung gezwungen, von ihrem Zuhause zu fliehen. Der Großteil sind Frauen und Kinder. Viele mussten alles zurücklassen, was für sie von Wert war, sie sind traumatisiert und verängstigt. In Deutschland stehen wir einmal mehr in der Verantwortung, diesen Menschen Schutz zu bieten. Ihnen genauso wie den vielen anderen Menschen, die ihre Heimat aufgrund von Kriegen, Verfolgung und Not verlassen mussten. Beim Bayerischen Jugendring (BJR) gilt unsere Aufmerksamkeit dabei insbesondere den Kindern und Jugendlichen und darüber hinaus marginalisierten Personengruppen.

In der aktuellen teils chaotischen Lage ist die Gefahr groß, dass junge Geflüchtete ungeachtet der Behörden in die Hände von Verbrecher:innen geraten, die ihre Vulnerabilität ausnutzen und sie ausbeuten oder sexualisierter Gewalt aussetzen. Immer mehr Berichte zeugen von dubiosen Übernachtungs- und Jobangeboten für ankommende Geflüchtete. Eine besondere Gefährdung besteht bei unbegleiteten Minderjährigen und wenn finanzieller Druck herrscht, weil nicht auf ein eigenes Vermögen oder Einkommen zugegriffen werden kann, weil Schleuser:innen bezahlt werden müssen oder die Familie im Herkunftsland auf Geldhilfen angewiesen ist.

Diese skrupellose Ausbeutungspraxis verurteilen wir aufs Schärfste. In verschiedenen Positionspapieren hat der BJR bereits angemahnt, dass auf das besondere Schutzbedürfnis von geflüchteten Kindern und Jugendlichen, aber auch von allen weiteren Geflüchteten reagiert werden muss.1 Diese Mahnung möchten die Delegierten der 161. BJR-Vollversammlung angesichts der Dringlichkeit der aktuellen Situation erneut bekräftigen. Gemeinsam stehen wir ein für den Schutz von Kindern und Jugendlichen auf der Flucht, so wie es in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegt ist. Menschenhandel und Ausbeutung müssen verhindert werden, deshalb fordern wir:

  • Kinder und Jugendliche dürfen auf und nach der Flucht nicht verloren gehen!
    Wir fordern sichere, legale Fluchtwege und eine lückenlose und grenzübergreifende Zusammenarbeit von europäischen Behörden und Organisationen, die ein Eingehen auf die speziellen Bedarfe von Minderjährigen ermöglicht.
  • Daten zu vermissten Kindern und Jugendlichen müssen einheitlich erfasst werden!
    Innerhalb der EU muss ein einheitliches System geschaffen werden, um vergleichbare Daten auszutauschen sowie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern.
  • Vermisste Kinder und Jugendliche auf der Flucht dürfen nicht unbeachtet bleiben!
    Die hohe Anzahl an vermissten Kindern und Jugendlichen auf der Flucht in der EU muss aufgeklärt werden und die Gründe dafür müssen erörtert werden, um das Verschwinden von Kindern auf der Flucht zu verhindern. Vermisste Kinder und Jugendliche auf der Flucht dürfen nicht den Schmuggler:innen und Menschenhändler:innen überlassen werden.
  • Geflüchtete müssen ihre Handlungsmöglichkeiten kennen!
    Dass Kinder und Jugendliche untertauchen und somit anfälliger für Ausbeutung und Menschenhandel werden, geschieht besonders häufig, wenn sie ihre Situation als ausweglos betrachten und Wartezeiten (z. B. auf Familienzusammenführung) nicht länger ertragen. Wir fordern daher breite Aufklärung und verlässliche, kindgerechte und mehrsprachige Informationen für Geflüchtete zu ihren Rechten, zu Unterkünften und Transportmöglichkeiten und zu Anlaufstellen im Fall von (drohender) sexueller Gewalt und Ausbeutung.
  • Situationen der Ausbeutung müssen erkannt und verhindert werden!
    Wir fordern für alle Stellen, die mit Geflüchteten im Kontakt stehen (z. B. Polizei, Jugendamt, Ausländerbehörde, Sozialdienste), eine Sensibilisierung zu Handlungsmöglichkeiten bei Anzeichen von Ausbeutung, Missbrauch und Menschenhandel.
  • Beratungs- und Unterstützungsangebote für Betroffene müssen ausgebaut werden!
    Für von Menschenhandel und Ausbeutung Betroffene muss es flächendeckend ausreichend Stellen geben, an denen sie mehrsprachige Unterstützung finden und gegebenenfalls auch übergangsweise wohnen können.
  • Geflüchtete brauchen sichere Unterkünfte!
    Gemeinschaftsunterkünfte müssen Schutz bieten vor sexuellen und anderen gewalttätigen Übergriffen. Insbesondere in Unterkünften für unbegleitete Minderjährige muss ausreichend sozialpädagogische Betreuung gewährleistet sein. Private Wohnraumgebende müssen registriert und überprüft werden.
  • Familienzusammenführung muss ermöglicht werden!
    Vermisstenanzeigen betreffen anteilig besonders häufig unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Zudem war 2020 der Hauptgrund für das Verschwinden von Kindern und Jugendlichen auf der Flucht in Europa der Wunsch nach Wiedervereinigung mit ihrer Familie. So verlassen beispielsweise viele den Ort, an dem sie registriert sind, um sich eigenständig auf den Weg zu ihren Verwandten zu machen. Familiennachzug und Familienzusammenführung müssen daher Priorität sein und auch innerhalb der EU unterstützt werden.

1 Siehe z.B. 160. Vollversammlung (VV): „Geflüchtete Mädchen und junge Frauen stärken“; 155. VV: „Für ein sicheres Ankunftsland“; 152. VV: „Für ein Klima der Menschenfreundlichkeit“; 154. VV: „Frauen auf der Flucht – Die Verantwortung der Europäischen Union (EU)“
2 Siehe Artikel 10 (Familienzusammenführung), 19 (Schutz vor Gewaltanwendung, Misshandlung, Verwahrlosung), 22 (Flüchtlingskinder), 32 (Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung), 34 (Schutz vor sexuellem Missbrauch), 35 (Maßnahmen gegen Entführung und Kinderhandel)
3 missingchildreneurope.eu/download/figures-and-trends-2021/?wpdmdl=3778&refresh=6298746ff01711654158447
4 Siehe 156. VV: „Kinder und Jugendliche schützen: Standards für Flüchtlingsunterkünfte“
5 Siehe www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-kinder-vermisst-lka-1.5590854

Patrick Wolf
er/ihm
Büroleiter und Queer-Beauftragter